Operation Schneewolf - Meade, G: Operation Schneewolf - Snow Wolf
ausgesprochene Begabung für diesen Job. Also blieb er nach dem Krieg in Europa, schlug in München sein Hauptquartier auf und schickte von dort aus Agenten mit langfristigen Aufklärungsmissionen auf russischen Boden. Er hoffte, daß sie detaillierte Informationen über die alarmierende Nachkriegsaufrüstung der Sowjets liefern würden. Es handelte sich um Emigranten und Patrioten, um Abenteurer und Abtrünnige. Einige von ihnen waren rastloseMänner, die nach Heldentaten dürsteten, zu denen der Krieg ihnen nicht ausreichend Gelegenheit geboten hatte.
Ehemalige SS-Offiziere mit Kenntnissen der russischen Sprache, die entweder langjährige Gefängnisstrafen absitzen mußten oder, schlimmer noch, als verurteilte Kriegsverbrecher den Tod erwarteten, riskierten nichts, wenn sie mit dem Fallschirm über KGB-kontrolliertem Gebiet absprangen, wie zum Beispiel die beiden Ukrainer. Wenn sie ihren Auftrag durchführten und es irgendwie zurück über die Grenze schafften, waren sie freie Menschen. Sie bekamen eine neue Identität und eine weiße Weste. Wenn sie Glück hatten, verlängerten sie ihr Leben, wenn nicht, verloren sie es bei diesem Roulette.
Jake Massey leitete die Münchner Zentrale mit rücksichtsloser Effektivität, mit relativem Erfolg, mit sehr viel Haß auf die Sowjets und mit sehr intimer Kenntnis ihrer Schliche. In Washington hielt man ihn für einen der Besten seines Faches.
Jetzt wurde er von einem anderen Nebelhorn irgendwo weit entfernt in der feuchten Dunkelheit aus seinen Gedanken gerissen und blickte auf.
An diesem kalten Januarabend, als Massey an dem See in Bayern saß und auf das Wasser schaute, geschah etwas, wovon er noch keine Ahnung hatte.
In diesem Moment, zweitausend Kilometer entfernt, drehte sich in Moskau das Schicksalsrad eines Planes, der die nächsten sechs Wochen in Jake Masseys Leben bestimmen und die Welt an den Rand eines Krieges bringen sollte.
Massey warf noch einen letzten Blick auf das dunkle Ufer, stellte dann seinen Kragen hoch und ließ den Motor des Jeeps an. Er hatte gerade noch Zeit genug, seinen monatlichen Bericht an das CIA-Hauptquartier in Washington zu schreiben, bevor er ins Bett ging.
9. KAPITEL
Moskau
13. Januar
Es war fast zwei Uhr morgens, als die Emka-Limousine und die beiden Sis-Lastwagen durch die massiven Stahltore des Hintereinganges am KGB-Hauptquartier am Dsershinski-Platz rollten.
Als die Fahrzeuge nach Süden in Richtung Moskwa abbogen, nahm der Offizier in Zivil, der auf dem Beifahrersitz des Wagens saß, eine alte, silberne Zigarettendose aus der Tasche, klappte sie auf und nahm eine Zigarette heraus.
Major Juri Lukin vom Zweiten Direktorat des KGB wußte, daß seine Aufgabe heute morgen alles andere als angenehm werden würde. Als er sich auf dem Sitz zurücklehnte und die Zigarette anzündete, seufzte er.
Letzten November hatte es in Moskau zu schneien angefangen, sehr früh in diesem Jahr, und jetzt waren die Straßen von schmutziggrauem Schneematsch bedeckt. Es schneite ununterbrochen; das Wetter ließ selbst den hartgesottenen Einwohnern einer der kältesten Metropolen der Welt keine Atempause.
Als der Konvoi durch den Arbat, das alte Handelsviertel der Stadt, in östlicher Richtung an den Ufern der Moskwa entlangfuhr, warf Lukin einen Blick auf die Liste mit Namen und Anschriften, die in einem metallenen Klemmbrett auf seinem Schoß lag. Es waren neun Namen, alles Ärzte, die an diesem eiskalten Morgen verhaftet werden sollten.
»Die nächste links, Pascha«, befahl er seinem Fahrer knapp.
»Wie du wünschst, Major.«
Leutnant Pawel Kokunko war ein vierschrötiger Mongole Ende Dreißig. Sein gelbliches Gesicht, sein muskulöser Körper und die krummen Beine hinterließen den Eindruck, daß er sich auf einem Pferd in den Steppen der Mongolei wesentlich wohler fühlen mußte als hinter dem Steuer einer viersitzigen Emka-Limousine.
Während Lukin auf die eiskalten, verlassenen Straßen blickte, beugte sich der Mitfahrer auf dem Rücksitz vor.
»Genosse Major, darf ich die Verhaftungsliste sehen?«
Hauptmann Boris Wukaschin war etwas jünger als Lukin und erst vor einer Woche in dessen Büro versetzt worden. Lukin reichte ihm die Liste, und die Leselampe im hinteren Teil des Wagens flammte auf.
»Hier steht, daß diese Ärzte alle für den Kreml arbeiten. Und ihren Namen nach zu urteilen sind mindestens fünf von ihnen Juden. Es wird allerhöchste Zeit, daß wir mit diesen Juden gründlich aufräumen.«
Lukin drehte sich um.
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