Opernball
an Monika als Debütantin. Später hat sie den Gemüsegroßhandel ihres Vaters übernommen. Sie hat nie geheiratet. In den letzten Jahren brachte sie immer eine Menge Freunde zum Opernball mit, auch Frauen. Da drüben ging es immer sehr heiter zu. Ach, die ist nicht auf der Liste? Also lebt sie noch? Da muß ich sie unbedingt anrufen. Ich habe das Jahr über mit ihr nie Kontakt gehabt, nur auf dem Opernball.
Die Dolezals. Sie waren, sind eine absolut angenehme Gesellschaft. Wenn ich die beiden Nachbarlogen vergleiche, dann waren die Dolezals wie U-Musik und die Hilzendorfers wie E-Musik, beide aber durchaus für Ausflüge in den jeweils anderen Bereich zu haben. Die Dolezals waren eigentlich keine Operngänger. Die liefen den Musicals nach. Wenn ich mich recht erinnere, ist Monika Dolezal mit ihrem Vater sogar manchmal nach London und New York zu Musical-Premieren geflogen. Wenn vom Ballorchester diese merkwürdigen Melodien gespielt wurden, die für meine Ohren alle gleich klingen, leerte sich die linke Nachbarloge. Monikas größter Wunsch war es, diesen Webber, der die meisten dieser unsäglichen Schnullermelodien verbrochen hat, zum Opernball einzuladen. Zum Glück ist es ihr nie gelungen. Jedenfalls war sie, ist sie nicht hochnäsig. Im Grunde eine arbeitsame, fleißige Familie, die sich hochgearbeitet hat. Sie haben klug investiert, soviel ich weiß, ohne größere Rückschläge. Heute beherrschen sie im Gemüsegeschäft praktisch den ganzen Osthandel. Die Monika spricht ungarisch und kann auch mit slawischen Sprachen gut umgehen. Soweit ich mich erinnere, hat sie mir auf jedem Opernball vorgeschlagen, ich solle ebenfalls in den Osten investieren. Aber ich wollte nicht. Brot hat eine zu starke Symbolkraft, um damit in Krisenregionen florierende Geschäfte machen zu können. Niemand will fremdes Brot essen. Ich bekomme Briefe von Amerikareisenden, die wollen, daß ich ihnen unser Brot mit Luftpost zuschicke. Ich glaube nicht daran, daß die Slowaken jemals Brot aus Wien essen würden. Zwischendurch vielleicht, als exotischen Happen. Aber würde ich dort strategisch einsteigen, hätten die Slowaken das Gefühl, sie müßten nun wieder unsere Lieder singen. Würden umgekehrt die Wiener erfahren, daß wir unser Brot in der Slowakei backen, könnte sich der Floridsdorfer Kommerzialrat ins Fäustchen lachen. Der Billiglohn würde den Marktverlust nie wettmachen.
Außerdem kannte ich von der Industriellenvereinigung ganz andere Geschichten. Einige Unternehmer sind regelrecht abgestürzt. Andere konnten wir mit Mühe durch Zwischenkredite auffangen. Schuld waren meistens abgehalfterte Politiker. Kaum war ein Minister über einen Skandal gestürzt, schon reichte er eine Visitenkarte mit der Aufschrift Consulting herum und begann, seine Auslandskontakte dem Osthandel zur Verfügung zu stellen. Ihre Provisionen stimmten immer, die Geschäfte selten. Politische Diplomatie und Geschäftsdiplomatie sind zwei verschiedene Paar Schuh. Politiker meinen, es gehe um gute Kontakte und gute Provisionen. Das ist ein Irrtum. Bewußt schlechte Kontakte, am besten spürbare Distanz, wenn nicht gar zeitweilige Unerreichbarkeit, und knausrige Provisionen sind dem Geschäft wesentlich dienlicher. Beides stellt die Ware in den Vordergrund und nicht den Kaufakt. Der Geschäftspartner soll das Gefühl haben, daß meine Ware so gut ist, daß ich es nicht nötig habe, sie ihm anzudrehen.
Bei Monika Dolezal ist das anders. Wenn die zu den Bauern geht, glaubt man, sie ist selbst eine Bäuerin. Sie trinkt mit ihnen Barack und singt ihnen ihre eigenen Lieder vor. Die östlichen Handelsketten hat sie einfach links liegenlassen und langsam ausgeblutet, indem sie sich mit den Bauern arrangierte. Hätte sie sich von einem ehemaligen Politiker beraten lassen, hätte sie jeden dahergelaufenen Wichtigtuer mit Provisionen schmieren müssen, und herausgekommen wäre letztlich gar nichts.
Ich ging zur Nachbarloge hinüber, wo mich Monikas Eltern überschwenglich begrüßten. Der alte Dolezal sprang auf, breitete seine Hände aus und sang:
»Alle Jahre wieder kommt der Opernball dann sieht man sie wieder, die Bäcker, überall.«
Seine Frau, die Mühe hatte, ihre Rundungen im Kleid zu halten, streckte mir neckisch die Hand entgegen.
»Endlich«, sagte sie. »Zu einer zünftigen Brettljause gehört frisches Gebäck.«
Jan Friedl lehnte in einem Sessel, den Mund zu einem betrunkenen Dauerlächeln verformt.
»Ich kann nur eine Viertelstunde bleiben«,
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