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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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Kreis sitzen wie sonst, aber im großen und ganzen war es ein Kreis. Zur Stadt hin war dichter Wald, auf der anderen Seite fiel das Gelände ab. Man sah zum Exelberg und zur Sophienalpe hinüber. Sie waren mit roten Wolken gekrönt. Im dazwischenliegenden Tal verlief eine Straße.
    Feilböck war gekommen, wie ich erwartet hatte, auch wenn die Verständigungskette diesmal nicht von ihm ausgelöst worden war. Er saß auf seinem Baumstumpf und grinste.
    Der Platz des Geringsten war dem Sonnenuntergang zugewandt. Er erhob sich und wartete, bis Feilböck das Grinsen verging.
    »Harmagedon«, begann er, »wird sich in neun Monaten ereignen. Nichts in der Geschichte ist damit vergleichbar. Die ganze Welt wird Zeuge sein, wie mit einem Schlag die Zeit sich wendet. So, wie man heute sagt, vor oder nach dem Zweiten Weltkrieg, so wird man dann sagen, vor oder nach Harmagedon. Sieben brave kleine Arbeiter, ein Student und ein Nichtsnutz sind auserwählt zu zeigen, daß alles möglich ist, wenn man es will und wenn man die Vorsehung auf seiner Seite hat.«
    Der Geringste trat hinter seinen Baumstumpf und kniete darauf nieder. Das Gesicht verdeckte er mit seinen Händen. Er bewegte sich nicht. Von allen Seiten hörte man Vogelstimmen, manchmal raschelte es in den Bäumen, ein Ast krachte. Im Tal fuhr hin und wieder ein Auto. Als der Geringste die Hände vom Gesicht nahm, sahen wir Tränen über seine Wangen rinnen. Unter den Augen und an der Nasenwurzel, wo bei der Gesichtsoperation die Haut geöffnet worden war, hatten sich rote Flecken gebildet. Er blickte starr in die Ferne und weinte.
    Nach einer Weile sagte er: »Wir sind schwach. Und doch hat die Vorsehung uns zu ihrem Werkzeug gemacht. Daher dürfen wir nicht schwach sein. Die Vorsehung ist hart. Sie bestraft unerbittlich, wer sich ihr nicht fügen will. Aber sie ist auch milde. Sie gibt allen, die fähig sind, sie zu erkennen, noch eine letzte Chance. Verstehst Du, Feilböck, wir müssen Dich bestrafen, aber wir wollen Dich nicht verlieren.«
    Feilböck hatte zweifellos damit gerechnet, daß seine Aktivitäten zur Sprache kommen. Aber er war sichtlich überrascht, daß es so schnell ging. Er stand auf: »Ich habe Euch etwas zu sagen. Der Bautrupp weiß darüber schon Bescheid. Ich bin mit der Taktik nicht einverstanden. Wir müssen Propaganda machen. Wir müssen sicherstellen, daß wir danach als Retter gefeiert werden.«
    Der Geringste unterbrach ihn: »Willst Du gefeiert werden, oder willst Du der Aufgabe nachkommen, zu der Du auserwählt worden bist und der Du Dich verpflichtet hast?«
    »Beides«, sagte Feilböck.
    Der Geringste kniete noch immer. Er schaute zu den Wolken, die sich über Sophienalpe und Exelberg auftürmten und ihre Röte verloren. Dann sagte er: »Nur wenn wir alles geben, werden wir alles bekommen. Wer an sich selbst denkt, ist der Entscheidungsschlacht nicht würdig.«
    Während er das sagte, rauschte der Wald auf und, als hätte er ihn bestellt, fuhr ein Windstoß über unseren Platz und bauschte seine Haare. Er wandte sich Feilböck zu.
    »Nicht wir entscheiden, daß Du bestraft wirst, sondern die Vorsehung. Sie verlangt von denen, die ihr dienen, eiserne Disziplin. Wir dürfen nicht schwach sein in dieser Stunde, damit wir nie wieder schwach werden.«
    Der Geringste erhob sich und ging zu einem Baum am Rande der Lichtung. Er schlug seine Stirn gegen die Rinde, so lange, bis ihm das Blut über das Gesicht herabrann. So kam er langsam zu unserem Kreis zurück. Er fragte: »Ist Feilböck unschuldig?«
    Niemand antwortete.
    Mittlerweile hatte das Blut den Mund des Geringsten erreicht. Er leckte es mit der Zunge von den Lippen und fragte noch einmal: »Ist Feilböck unschuldig?«
    Der Blade antwortete: »Der ganze Bautrupp ist schuldig. Wir haben mitgemacht.«
    Der Geringste ließ sich davon nicht beirren: »Ich frage ein drittes Mal. Ist Feilböck unschuldig oder schuldig?«
    »Schuldig«, antworteten wir nacheinander.
    Der Geringste kam zu mir und streckte mir die Hand entgegen. Ich öffnete eine mitgebrachte Sporttasche und entnahm das Beil. Der Geringste ergriff es am Eisen und ging damit zu Feilböck. Er sagte: »Gib uns den Finger zurück! Du mußt ihn Dir erst wieder verdienen.«
    Feilböck lachte hilflos. Er verstand natürlich sehr gut, was gemeint war, aber er wollte es nicht glauben.
    »Das ist ein Mißverständnis«, sagte er. »Ich werde euch alles erklären. Das könnt Ihr doch nicht machen mit mir. Wir sind alte Freunde.«
    Der

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