Opernball
Geringste hielt ihm den Stiel hin und wartete. Dann sagte er: »Los, hack Dir den Finger ab. Sonst müssen es wir tun.«
»Seid Ihr verrückt«, schrie Feilböck.
Darauf der Geringste: »Haltet ihn fest!«
Feilböck wollte nach dem Beil greifen, doch der Geringste zog die Hand schnell zurück. Wir stürzten uns auf Feilböck. Er schlug nach Leibeskräften um sich. Die Kameraden rissen ihn nieder. Der Geringste gab mir das Beil. Es war den anderen nicht möglich, Feilböcks Hand ruhig auf einen Baumstock zu halten. Immer wieder gelang es ihm, die Hand mit einem Ruck zu verdrehen. Der Polier zog an Feilböcks kleinem Finger. Dabei gab es den ersten Knacks. Ein paarmal wollte ich zuhacken, aber die Hand lag nicht ruhig genug. Ich hätte auch andere Hände erwischen können. Daher warf ich das Beil weg, nahm Feilböcks Finger fest in die Faust und drehte ihn schnell nach außen. Es gab einen zweiten Knacks, und der Finger war lose. Feilböck stieß einen entsetzlichen Schrei aus. Ich riß am Finger. Haut und Sehnen gaben nicht nach, sosehr ich mich auch bemühte. Da nahm ich mein Springmesser aus der Tasche und schnitt die Sehnen durch. Ich dachte, das wäre ein Schnitt, aber so leicht war das nicht. Feilböck brüllte in kurzen, lauten Stößen. Er zuckte mit der Hand hin und her. Ich setzte einmal da das Messer an, dann dort, riß am Finger. Es war schon alles voll Blut, bis ich endlich durch die Sehnen war.
Ich ging mit dem warmen, blutigen Finger zu meiner Tasche. Als ich meine Hand öffnete und den Finger anschaute, wurde mir übel. Feilböck hörte zu schreien auf. Er keuchte und stöhnte. Ich legte den Finger weg und nahm aus der Tasche Verbandszeug, Jod und die Inalgon-Tropfen, die mir Feilböck einst gebracht hatte. An Feilböcks Hand sah man den Mittelhandknochen. Ein kleiner Blutstrahl schoß heraus.
»Mach weiter«, fuhr mich Pandabär an.
Als ich Jod über die Wunde schüttete, begann Feilböck wieder zu schreien. Ich zog die Haut über den Knochen und legte einen festen Druckverband an, so, wie ich es beim Bundesheer gelernt hatte. Der Geringste setzte sich neben Feilböcks Kopf, streichelte ihn an den Wangen und tropfte ihm Inalgon in den Mund.
»Es ist vorbei«, sagte er.
Später, als Feilböck ruhig geworden war und seine verbundene Hand betrachtete, sagte der Geringste zu ihm: »Wenn Du willst, kannst Du verreisen. Wir haben für Dich ein Haus gemietet. Dort kannst Du bleiben, bis Harmagedon vorbei ist. Du kannst aber auch zu uns zurückkehren.«
Ich steckte Feilböck die Adresse und eine Wegbeschreibung in die Jackentasche.
Mittlerweile war starker Wind aufgekommen. Schwarze Wolken waren herangerückt. Wir mußten aufbrechen. Bevor wir den Parkplatz erreichten, begann es zu schütten. Ich steckte einen Plastiksack über Feilböcks Hand und band ihn mit einer Mullbinde am Unterarm fest. Dann rieb ich meine blutigen Hände im Regen. Der Wanderweg war kaum noch zu sehen. Da wurde Feilböck übel. Er setzte sich auf den Boden. Wir zogen ihn hoch und stützten ihn. Als wir aus dem Wald herauskamen, war ein schwacher Schein der beiden Straßenlampen vom Parkplatz zu sehen. Wir waren vollkommen durchnäßt. Ich wusch mir in einer Pfütze die Hand. Auch andere hatten Blut abbekommen. Der Polier, Pandabär und ich brachten Feilböck mit seinem Wagen nach Hause. Während der ganzen Fahrt sprachen wir kein Wort. In mir war eine Leere. Ich war nicht unglücklich. Ich dachte mir, er hat es so gewollt. Und: Es wird uns stärker zusammenschweißen.
Meine Aufgabe war noch nicht zu Ende. In meiner Mansardenwohnung legte ich den Finger in das Waschbecken. Die Sporttasche hatte Blutflecken. Ich wusch sie. Ich wusch auch das Beil, obwohl ich es nicht benutzt hatte. Dann nahm ich eine Dusche. Tropfnaß stieg ich noch einmal aus der Duschkabine und holte den Finger aus dem Waschbecken. Er war ein Stück von Feilböck. Warum sollte er nicht mit mir duschen?
Es war, wie wenn man eine Hühnerkeule wäscht, nur dünner. In der Duschwanne bildeten sich rote Schlieren. Ich schob die Haut hinauf, bis der Knochen vorstand. Dann stieg ich mit der Ferse auf den Abfluß, so daß sich in der Wanne Wasser ansammelte. Ich nahm den Finger an der Spitze und schwenkte ihn im Wasser hin und her. Es kamen kleine, dunkle Blutklümpchen heraus. Dann legte ich den Finger in die Seifenschale. Ich trocknete mich ab und zog neue Wäsche an. Am Schreibtisch putzte ich mit dem Manikürset Feilböcks Fingernagel. Dabei traten auf der
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