Opernball
mich für immer in die Liste der Nazidozenten einträgt. Damit werdet Ihr leben müssen.«
Ich sagte: »Aber Du hast Dir doch nichts zuschulden kommen lassen.«
Mein Vater zog und schob an meinen Händen im Takt der Musik. Als die Musik zu Ende war, drückte er mich an sich. Ich roch sein Eau de Cologne. Er wollte etwas sagen, aber er wartete, bis die Musik wieder einsetzte. We got married in a fever, begann einer zu singen. Mein Vater schien es nicht zu hören. Er sagte: »Ich habe Dir doch von dem jüdischen Dozenten erzählt, der die Universität verlassen mußte und später in Auschwitz vergast wurde. Ich habe mich um seine Stelle beworben, und ich habe sie bekommen. Weißt Du, was das heißt? Meine Karriere ist auf der Vernichtung eines Freundes gebaut. Es will mir nicht aus dem Kopf.«
Ich fragte ihn: »Hat Dich dazu Deine Assistentin ermuntert?«
Er antwortete: »Sie hat mir geholfen, das Bewerbungsschreiben aufzusetzen.«
Ich war unfähig, irgend etwas zu antworten. Aber mir schoß auf einmal in den Sinn: Ich werde für ihn kämpfen. Ich werde der Nachwelt beweisen, daß er kein Nazi war.
Wir verließen die Tanzfläche und gingen, ineinander eingehängt, zurück zu unserer Loge. Mein Vater sagte: »Kannst Du mir versprechen, daß das unter uns bleibt?«
Ich nickte. Wir trafen auf einen Mann, der uns grüßte. Mein Vater erkannte ihn nicht. Er stellte sich als einer seiner ehemaligen Studenten vor. Obwohl er selbst schon an die sechzig Jahre alt war, sagte er noch immer devot »Herr Professor«. Mein Vater lud ihn in unsere Loge ein. Er antwortete, er wolle seine Tanzpartnerin noch zurückbringen und dann gerne mit seiner Frau vorbeikommen.
Herbert saß weit zurückgelehnt auf seinem Stuhl und rauchte eine Zigarre. Er hatte uns auf dem Parkett beobachtet, aber er stellte keine Fragen. Vor unserer Loge tanzte der fette deutsche Bundeskanzler mit einer angespannt wirkenden Debütantin, der das Krönchen verrutscht war. Herbert amüsierte das. Er sagte: »Die beiden sehen aus wie die deutschösterreichische Wiedervereinigung.«
Mein Vater lachte. Ich bestellte mir ein Glas Orangensaft. Als es gebracht wurde, wollte ich dem Kellner behilflich sein, die leeren Gläser einzusammeln. Dabei stellte ich mich so ungeschickt an, daß ich mir den Orangensaft über das Kleid goß. Der Kellner versorgte mich mit einer Unmenge von weißen Stoffservietten. Es nützte alles nichts, der Opernball war für mich zu Ende. Mein Vater war in heller Aufregung. Er hatte die absurde Idee, ich könnte aus dem Fundus für den Rest des Abends ein Leihkleid bekommen. Der Kellner bemühte sich redlich, den Vorschlag ernst zu nehmen, war jedoch hoffnungslos überfordert. So konnte ich meinen Wunsch, ins Hotel zu gehen, schnell durchsetzen. Doch da kam dieser ehemalige Student meines Vaters mit seiner Frau. Er sagte zu ihr, so laut, daß mein Vater es hätte hören können, selbst wenn er taub gewesen wäre: »Es ist mir eine große Ehre, Dir jenen Professor vorzustellen, dem ich alles zu verdanken habe, was ich bin.«
Ich erklärte den beiden kurz unser Problem und schlug Vater vor, er solle hierbleiben, Herbert werde ihn abholen. Er war dagegen, aber ich beharrte darauf. Dann meinte er, er könne auch allein heimgehen.
»Wann soll er Dich holen«, fragte ich. »In zwei, in drei, in vier Stunden?«
Mein Vater blickte auf die Uhr.
»In zweieinhalb Stunden«, sagte er. Hätte ich ihn nur mitgenommen. Nicht einmal eine halbe Stunde später kam er auf die Idee, allein heimzugehen. Wahrscheinlich hat ihn sein ehemaliger Student gelangweilt.
Der Ingenieur
Neuntes Band
Feilböck war verschwunden. Jeden Tag nach der Arbeit fuhr ich zu seiner Wohnung. Ich wollte ihm Geld bringen, damit er sich nach Mallorca zurückziehen konnte. Die Nachbarn sagten, sie hätten ihn schon vierzehn Tage nicht gesehen. Ich rief bei seinen Eltern an. Am Telefon war Feilböcks Mutter, die Sie ja mittlerweile kennen. Sie beschimpfte mich, als ich meinen Namen nannte. Wir hätten damals ihren Sohn in die ganze Sache hineingezogen. Ich solle ihn endlich in Ruhe lassen. Er wolle keinen Kontakt mehr mit uns haben. Sie fragte mich, was ich jetzt schon wieder von ihm wolle. Ich sagte: »Ich habe ihn ewig nicht gesehen. Ich wollte mich einfach einmal melden und ihn fragen, wie es ihm geht. Sie brauchen keine Angst zu haben. Ich will nichts Schlechtes, ich bin geläutert.«
Sie fuhr mich an: »Sagen Sie mir, wo mein Sohn ist. Ich habe eine
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