Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
Vom Netzwerk:
schweigend auf den braunen Fauteuils.
    »Whisky?« fragte der Geringste.
    »Nein«, antwortete ich, »aber einen guten Rat.«
    Durch die offenen Flügeltüren konnten wir auf den Bildschirm schauen. Mormon4 hatte sich nicht mehr gemeldet, aber die Debatte über die neue, goldene Tafel war immer noch im Gange. Ein gewisser Stefan Roepell aus Obervorschütz hielt es für nötig, die Welt darüber aufzuklären, daß es die goldenen Tafeln nie gegeben habe. »Die Religionen«, tippte er in seinen Computer, »schrieben ihre Geschichte selbst. Unabhängige oder kritische Berichte wurden meist absichtlich vernichtet. Das war bei den Christen nicht anders. Joseph Smith war nichts als ein Mythenschöpfer. Der Inhalt des Buches Mormon konnte von keinem ernstzunehmenden Ethnologen oder Archäologen bestätigt werden.«
    Jetzt wußten wir es. Der Geringste ging zum Computer und tippte: »Wenn es aber einem von euch an Weisheit mangelt, so erbitte er sie von Gott.«
    Dann ging er aus dem Netz und stellte den Computer ab. Wir saßen wieder schweigend nebeneinander und tranken Mineralwasser. Später legte er eine CD auf, einen gregorianischen Choral. Als die Platte das zweite Mal abgelaufen war, sagte der Geringste: »Ihr werdet ab morgen überwacht werden. Also kann nur ich es machen. Du fährst jetzt zum Polier. Er soll mir an der Baustelle im Müllcontainer eine Pistole hinterlegen. Er soll sie in einen Schuttsack tun. Ich werde sie mir morgen in der Nacht holen.«
    Ich stand auf und wollte gehen. Er stand ebenfalls auf.
    »Moment noch«, sagte er. »Du organisierst ein Sonnwendfeuer in Rappottenstein. Nach der Arbeit rufst Du alle Kameraden an und sagst: Nostalgietreffen nach zwei Jahren. Dann fährst Du nach Rappottenstein und hängst in allen Gasthäusern Ankündigungen auf. Danach absolute Kontaktsperre. Eure Treffen im Restaurant des Langen müssen rein zufällig sein. Zur Sonnwendfeier fährst Du mit dem Polier mit.«
    Der Geringste umarmte mich.
    »Wir kommen durch«, sagte er. »Es gibt größere Herausforderungen.«
    An der Tür sagte er: »Laß mich zuerst nachschauen.«
    Nach kurzer Zeit kam er zurück und brachte mich zur Haustür. Er sagte leise und ganz schnell: »Leitner muß nicht alles hören. Ich werde morgen hier ausziehen. Du kannst mich dann nicht mehr besuchen. Dennoch werden wir uns sehen. Wir müssen nur den Code für unsere Mitteilungen ändern. Weißt Du, was ein Akrostichon ist?«
    »Nie gehört«, flüsterte ich.
    Der Geringste sagte: »Ich kann Dir das jetzt nicht erklären. Finde es selbst heraus. Der zweite Buchstabe gilt. Ja? Der zweite Buchstabe.«
    Dann ging er zurück in die Wohnung. Er wollte Leitner nicht beunruhigen.
     
    Der 23. Juni fiel auf einen Freitag. Das hatte den Nachteil, daß Pandabär und der Lange lange arbeiten mußten und daher erst am Abend nach Rappottenstein kommen konnten. Da war schon alles vorbereitet. Wir machten uns zu Mittag, gleich nach der Arbeit, auf den Weg. Am Gürtel gab es einen Stau. Der Zufall wollte es, daß wir am Lerchenfelder Gürtel endlos vor einem fast fertigen Neubau stehen mußten. Wie die Affen gafften wir drei auf das Gebäude, bis hinter uns gehupt wurde. Der Blade sagte: »So tragen wir zur Verschönerung von Wien bei.«
    Darauf der Polier: »Wir sollten beim Besitzer eine Provision kassieren. Ohne uns hätte er nur sinnlos Brandschutzprämien gezahlt.«
    Der Witz wollte uns an diesem Tag nicht recht gelingen. Wir hatten vom Geringsten nichts mehr gehört, und wir wußten nicht, was uns in Rappottenstein erwartete. An diesem Wochenende schienen alle Wiener ins Waldviertel zu fahren. Nach der Nordbrücke ging es zwar schneller voran, aber der Stau zog sich bis Horn. Erst auf der Zwettler Straße hatten wir freie Fahrt. Der Polier drehte auf, was sein Auto hergab. Vor der Einfahrt nach Zwettl wurden wir von einem entgegenkommenden Auto mit der Lichthupe angeblinkt. Der Polier stieg kräftig auf die Bremse und schaffte es gerade noch, die Radarfalle mit der erlaubten Geschwindigkeit zu passieren.
    Ich war fast zwei Jahre nicht im Gutshof gewesen. Als ich drei Tage zuvor in Rappottenstein war, um in den Gasthäusern die Ankündigungen des Sonnwendfeuers aufzuhängen, hatte ich den Gutshof nicht betreten. Ein Wirt sagte zu mir: »Na, Du läßt Dich auch wieder einmal blicken?«
    Ich antwortete: »Ja, es gibt wieder ein Sonnwendfeuer. Lange habe ich mich nicht hergetraut, wegen der Brandsache damals. Aber das ist ja Blödsinn, weil wir damit nichts zu

Weitere Kostenlose Bücher