Opernball
Vermißtenanzeige gemacht. Wo ist er?«
»Ist er verschwunden? Ich weiß von nichts. Seit wann?«
»Sie wissen es nicht? In welche Sache ist er da schon wieder hineingeraten? Auch sein Doktorvater hat ihn schon vierzehn Tage nicht gesehen.«
Ich sagte: »Ich werde suchen helfen. Wenn ich ihn ausfindig mache, rufe ich Sie sofort an.«
Ich dachte damals, Feilböck sei hier auf Mallorca, in diesem Haus. Er sei bloß so gekränkt, daß er unser Geld nicht annehmen wollte.
Bevor ich nach Mitternacht den Geringsten besuchte, verbrachte ich gewöhnlich einige Stunden im Beta-Netz. Die Debatte über das Tausendjährige Reich war noch immer nicht zu Ende. Aber seit Feilböck ausfiel, fehlten die Provokationen von Mormon4. Insgeheim hoffte ich, im Beta-Netz eine Mitteilung von ihm vorzufinden. Routinemäßig begann ich meine Suche mit dem Buchstaben M im Senderindex. So auch ein paar Tage nach dem Telefongespräch mit Feilböcks Mutter. Da war er plötzlich. Ich klickte Mormon4 an. Seine Mitteilung war überraschend milde. Er entschuldigte sich bei allen, die er diskriminiert oder beleidigt hatte. Er schrieb: »Mir ist im Traum der Engel Moroni erschienen. Er zeigte mir eine goldene Tafel, die Joseph Smith zu übersetzen vergessen hatte. Die Tafel war in einer fremden Schrift abgefaßt, aber ich konnte sie dennoch lesen. Darauf stand: ›Nicht alle können Heilige sein, aber alle können gerettet werden.‹
Ich fragte den Engel, wie es geschehen konnte, daß Joseph Smith die Tafel übersah. Er antwortete mir: ›Joseph Smith hat zuviel in seinen Hut geschaut und zuwenig auf die Tafeln.‹ Dann war der Engel plötzlich verschwunden.«
Ich saß vor dem Computer und mußte hellauf lachen. Der Geringste, der natürlich selbst nicht daran glaubte, daß Joseph Smiths Buch Mormon auf die goldenen Tafeln des Engels Moroni zurückgehe, hatte uns einmal erzählt, Joseph Smiths Frau Emma habe in ihrem Letzten Testament preisgegeben, wie das Buch Mormon entstanden sei. Ihr Mann habe vor allem in seinen Hut geschaut, in dem die Sehersteine Urim und Thummim lagen.
Es dauerte nicht lange, da antwortete Mormon1. »Joseph Smith hat die Tafel nicht übersehen, er hat ihre Übersetzung nur auf seine Zeit bezogen: Denn es ist eine furchtbare Schlechtigkeit, anzunehmen, Gott errette das eine Kind wegen der Taufe, und das andere müsse zugrunde gehen, weil es keine Taufe gehabt hat.«
Ich wartete nicht länger darauf, wer sich sonst noch einschalten würde, sondern lief zu meinem Auto hinab, das auf der Nebenfahrbahn der Favoritenstraße geparkt war. Ich konnte sicher sein, daß ich, wenn ich zurückkomme, keinen Parkplatz finden würde. Aber lieber wollte ich dann beim Laaerberg Bad parken und einen Kilometer zu Fuß gehen, als ein Taxi zu nehmen. Nirgendwo auf der Welt sind Taxifahrer so mißtrauisch wie in Wien. Sie merken sich jeden Fahrgast. Wenn es eine Großfahndung gab, waren es immer die Taxifahrer, die alles beobachtet hatten.
Es erschien mir plötzlich sehr unwahrscheinlich, daß Feilböck auf Mallorca war. Ich fuhr zu seinem Wohnhaus im Stadtteil Hernals. In den beiden Wohnzimmerfenstern im vierten Stock waren die vergilbten Rollos heruntergezogen. Also ist er doch hier, dachte ich und wollte schon in die Wohllebengasse weiterfahren, da fiel mir ein, die Fenster könnte auch Feilböcks Mutter verdunkelt haben. Ich parkte mit dem Auto an der gegenüberliegenden Straßenseite in zweiter Spur und stellte den Motor ab. Den Kopf auf die Stütze zurückgelehnt, betrachtete ich Feilböcks Wohnzimmerfenster und wartete. Es schien kein Licht durch.
Fast wäre ich eingeschlafen. Ich rieb mir die Augen. Als ich wieder hinaufschaute, war mir, als wäre das linke Rollo eine Spur heller als das rechte. Das ergab durchaus einen Sinn, denn hinter dem linken Rollo stand Feilböcks Schreibtisch. Ich konzentrierte mich auf dieses eine Fenster. Nach kurzer Zeit erschien es mir wieder dunkler. Ich fuhr sofort zum Geringsten. Er wartete auf mich.
»Wahrscheinlich ist Feilböck in Wien«, sagte ich. »Irgend jemand ist jedenfalls in seiner Wohnung.«
»Ich weiß«, antwortete der Geringste. »Heute war er bei der Polizei, um uns zu verraten.«
Er sagte das in einer Ruhe, als ginge es um irgendeine Nebensache. Ich mußte mich setzen. Wir schauten uns lange an.
»Ist jetzt alles vorbei?« fragte ich.
»Noch nicht. Er war zu feige, sich selbst ins Spiel zu bringen. Er will uns aushorchen. Das Schwein muß geschlachtet werden.«
Wir saßen
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