Opernball
hatte ich gebeten, Freds Begräbnistermin nicht bekanntzugeben. Die Angestellten waren an diesem Tag, aber auch an den folgenden Tagen ohnedies im Begräbnisstreß. Am liebsten wäre es mir gewesen, wenn ich allein an Freds Grab gestanden wäre. Mittlerweile störte es mich aber nicht mehr, daß Heather dabei war. Ich hatte gedacht, ihre Anwesenheit würde alles noch schlimmer machen, sie wäre mir nur eine zusätzliche Last. Nun war ich sogar froh, daß ich sie an meiner Seite hatte. Sie gehörte genauso zu Fred wie ich. Seit sie da war, schien mir, ganz gegen meine Erwartung, alles leichter zu fallen.
Wir kamen gut eine halbe Stunde zu früh zum Zentralfriedhof. Ich fuhr vor das Haupttor und kaufte zwei Sträuße roter Rosen. Heather war das erste Mal in Wien. Ich war einmal mit Gabrielle im jüdischen Teil des Friedhofs spazierengegangen. Ein anderes Mal war ich allein gekommen und hatte mir die Ehrengräber angeschaut. Ich hatte Lust, Heather das riesige Ausmaß des Friedhofs zu zeigen. Deshalb zahlte ich die kleine Gebühr und fuhr mit dem Auto in den Friedhof hinein. Von einem schwarz uniformierten Portier bekamen wir einen Plan ausgehändigt. Ich parkte vor der Hauptaufbahrungshalle. Schweigend schritten wir nebeneinander ein paar Reihen von Ehrengräbern ab. Die meist bescheiden ausgeführten Gräber der bedeutendsten Musiker, Maler, Dichter und Wissenschaftler lagen umgeben von pompösen Grabstätten völlig unbekannter Politiker und Generäle.
Dann fuhren wir quer durch den halben Friedhof zur Aufbahrungshalle Ost. Überall, wohin man blickte, waren Begräbnisse im Gange. Wenn wir nahe an einem vorbeikamen, fuhr ich ganz langsam, um nicht zu stören. Zu meinem Erstaunen warteten vor der Aufbahrungshalle Ost ein paar Sekretärinnen und Techniker von der Klatschabteilung. Ich stellte ihnen Heather vor. Sie kondolierten ihr. Ein Mann in schwarzer Uniform erklärte mir, daß sich das Begräbnis um etwa eine dreiviertel Stunde verzögern werde. Es tue ihm leid, aber sie kämen mit der Arbeit nicht zu Rande. Während er das sagte, hörte man eine Stimme aus seinem Walkie-Talkie. Er eilte davon.
Überall im Umkreis der Aufbahrungshalle hatten sich Gruppen gebildet, die auf das Begräbnis ihrer Angehörigen warteten. Alle Viertelstunde kam ein Leichenzug aus der Halle heraus. Der Sarg wurde in ein schwarzes Auto verladen. An der Seite wurden die Kränze befestigt. Dann zogen sie los. Der Priester vorweg mit den Angehörigen, dahinter die Verwandten und Freunde. Kaum war der Zug in einen der Friedhofswege eingebogen, erschien ein neuer Priester am Tor und bat die nächste Gruppe in die Aufbahrungshalle. Heather und ich gingen mehrmals um das Gebäude herum und schauten uns die Menschen an. Ich hätte nie gedacht, daß ich so gefaßt sein würde. All dieser Pomp, der hier aufgezogen wurde, wirkte so lächerlich und so fern der Wirklichkeit. Plötzlich verstand ich, daß Begräbnisse weniger dazu dienten, Abschied zu nehmen, sondern einfach ein hilfloser Versuch waren, die Endgültigkeit des Abschieds zu verschleiern. Ich bin der Tod, die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er gestorben ist.
Der Mann mit dem Walkie-Talkie befehligte eine Flotte von Sargträgern, die aus einem hinteren Raum der Aufbahrungshalle die Särge holten und in Autos verluden oder zur Aufbahrung brachten. Es stellte sich heraus, daß die meisten Gruppen auf ein feierliches Begräbnis in der Halle warteten, wo es mittlerweile eine Verzögerung von über zwei Stunden gab. Der Mann mit dem Walkie-Talkie mußte sich ständig Vorhaltungen anhören. Einer sagte zu ihm: »Bei diesem unerträglichen Saustall könnt ihr nicht erwarten, daß man euch auch noch Trinkgeld gibt.«
Der uniformierte Koordinator blieb untertänig: »Entschuldigen höflichst, der Herr. Wir sind leider ganz und gar überfordert. Entschuldigen höflichst.«
Er trieb seine Flotte zur Eile an.
Ich hatte die einfachste Begräbnisvariante bestellt. Nach ziemlich genau einer dreiviertel Stunde kamen zwei grau uniformierte Männer mit einem Handwagen auf uns zu. Einer von ihnen sagte: »Sind Sie die Angehörigen von Fred Fraser?«
Er sprach den Namen mit a aus. Als ich bejahte, fuhr er fort: »Wir möchten für die Verspätung um Entschuldigung bitten und unser Beileid aussprechen. Jetzt ist es soweit.«
Ein Eichensarg wurde gebracht und auf den Handwagen verladen. Der Koordinator entfernte eine auf dem Seitengriff befestigte Nummer. Ein
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