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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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Niveauunterschied eingebaut hat. So aber benutzen alle die schiefe Ebene, und die Fehlplanung fällt kaum jemandem auf. Auf den Stufen saß ein Gitarrenspieler. Auffällig war, daß er einen Nachttopf vor sich stehen hatte, einen Nachttopf. Natürlich hatte er keine Spielerlaubnis. Es dauerte eine Weile, bis wir ihn perlustriert hatten, weil wir einander die Leberkässemmeln halten mußten.
    Perlustriert. Nie gehört? Haben Sie nicht gesagt, Ihr Vater stammt aus Wien? Das nennt man so bei uns. Wir kannten den Mann. Er war harmlos, oder besonders raffiniert, das weiß man nie so genau. Wir schickten ihn wieder einmal auf den Dienstweg.
    Das war eine Erfindung in der Not, eine Amtshandlung in einer verzwickten Situation. Unerlaubtes öffentliches Spielen, aber niemand stieß sich daran, weil es in dieser Nebenpassage nicht einmal Geschäfte gibt. Das passierte uns damals immer wieder. Jemand setzte ein Delikt, zum Beispiel Spielen ohne Spielerlaubnis, aber die Blamierten waren wir, weil wir niemanden fanden, der zu einer Anzeige bereit war. Heute haben wir den Herumlungerungsparagraphen und können sofort einschreiten. Damals waren wir in solchen Fallen vollkommen im Stich gelassen. Wir mußten uns etwas ausdenken. Wir konnten diese Spieler nicht überhören, im Vorbeigehen nicht übersehen, gelegentlich nicht einmal überriechen, aber oft fanden sich keine Geschädigten. Und so war es auch diesmal. Bei der Durchsuchung des Gitarrenspielers, Perlustrierung, genau, Sie lernen schnell, fand sich auch kein Hinweis auf ein weiteres Delikt. Keine Spritzen, kein Pfeifchen, keine Tabletten, keine Strohhalme. Im Gitarrensack fanden wir ein paar Saiten, einen Eierbecher und eine tote Maus. Wozu die Maus diente? Er sagte, sie sei sein Talisman. Für eine Festnahme zuwenig, für eine Ermahnung zuviel. Ein Standardfall, von Juristen wegen Überforderung dem Ermessen der Revierinspektoren überlassen. Man mußte daraus erst etwas machen. Wir setzten dem Musikanten ein wenig zu, ohne große Hoffnung, daß er mitmachen würde.
    »Diesmal schnappen wir dich, das war das letzte Mal, jetzt gibt's kein Pardon mehr, steh auf, wenn wir mit dir reden! Ausweis! Was, kein Ausweis? Na, dann komm gleich mit, Bürschchen.«
    Aber er blieb gelassen, gab uns keinen Verhaftungsgrund. Also schickten wir ihn auf den Dienstweg. Wir wiesen ihn an, sich in der Wachstube Karlsplatz beim Journaldienst zu melden und dort zu sagen, daß er ohne Erlaubnis öffentlich Gitarre gespielt habe. Wir konnten ziemlich sicher sein, daß er das nicht tun würde. Sollte er es aber tun, würde er vom Journaldienst sicher weitergeschickt werden, von der nächsten Instanz ebenso. Diese Notlösung nannten wir den Dienstweg.
    Eigentlich ist das ein falscher Ausdruck. Genaugenommen wird der Dienstweg bei uns nur von Schriftsätzen begangen. Das, was Sie meinen, den Weg, den man im Dienst geht, der heißt Patrouille. Den Dienstweg hingegen habe ich mir immer wie eine unsichtbare Leiter mit sichtbaren Sprossen vorgestellt. Das ist heute nicht anders als damals. Aber heute ist es für uns leichter, zum Beispiel mit einer Beschwerde durchzukommen. Weil die Polizei einen höheren Stellenwert hat und weil Reso Dorf, der neue Polizeipräsident, viel mehr darauf achtet, daß unsere Leute zufrieden sind. Ist das nicht verrückt, daß es Tausender Toter bedurfte, damit wir einen anständigen Lohn kriegen und eine zuverlässige Ausstattung? Im Moment können wir alles haben. Als nächstes kriegen wir Elektroschockstäbe. Die sind statt der Gummiknüppel. Ein deutsches Patent. Dann brauchen wir nicht mehr zuzuschlagen, sondern den Delinquenten nur berühren, und schon beutelt es ihn, daß ihm Hören und Sehen vergeht. Mir ist das nichts Neues, ich kenne das vom Land. Wir haben das Stupfer genannt. Damit haben die Fleischhauer das Schlachtvieh auf die Transportautos hinaufgetrieben.
    Vor der Katastrophe hat eine Beschwerde nur dann Aussicht auf Erfolg gehabt, wenn sie sich gegen einen Untergebenen aus einer anderen Partei als der des Ministers richtete. Eine Beschwerde über einen Vorgesetzten ließ man besser gleich bleiben. Denn sie verkehrte sich auf dem Dienstweg ins Gegenteil. Da gab es diese beiden Gockel, wie wir sie genannt haben, den Minister und seinen Kabinettchef. Wir haben über die beiden nur noch gelacht. Heute denke ich mir, das konnte kein Dauerzustand sein, daß alle Polizisten und Gendarmen des Landes über ihre höchsten Chefs Witze machen. Wenn ein Wiener Polizist

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