Opernball
ihren Stahlhelmen den Sand wegzuschaufeln. Manche hatten Einschußlöcher im Hinterkopf, manche hielten eine Gebetskette in der Hand. Wir versuchten, in den Bunker hineinzuleuchten. Aber alles, was wir sahen und filmten, war ein riesiger Sandhaufen, auf dem vertrocknete Leichen lagen.
Die Iraker standen bei den in einer langen Reihe hingelegten Leichen und sangen Gebete. Ihr Offizier achtete darauf, daß wir nicht den Eingang des Bunkers betraten. Unser Priester stand hilflos herum, hielt sich ein Taschentuch vor die Nase und murmelte etwas vor sich hin.
An die hundert Leichen, die in letzter Verzweiflung versucht hatten, den Sandberg abzugraben, das war alles, was wir filmen konnten. Wie es im Bunker aussah, wie viele Leichen dort herumlagen und in welchem Zustand, blieb uns verborgen.
Dennoch wurde unsere Dokumentation ein Welterfolg. Sie führte dazu, daß mich eines Tages Michel Reboisson, der Leiter des Privatsenders ETV, aus Paris anrief. Er kam nach London und lud mich ins Claridges-Hotel zu einem Abendessen ein. In erstaunlich gutem Amerikanisch sagte er, ETV wolle in Wien eine Abteilung für Ost- und Zentraleuropa aufbauen. Er könne sich vorstellen, daß ich dieser Aufgabe gewachsen sei.
Der Ingenieur
Zweites Band
Als ich den Geringsten kennenlernte, hieß er noch Joe. Ich war mit meiner Ausbildung gerade fertig geworden und hatte als technischer Zeichner bei einer Baufirma zu arbeiten begonnen. Man hatte mich einer Baustelle im vierten Wiener Gemeindebezirk zugeteilt, in der Schönburggasse, wo wir ein Althaus sanierten. Am Straßenrand standen, in drei Reihen übereinandergestapelt, die Baucontainer. Zwei waren von einem früheren Brand geschwärzt und wurden, als ich meine Stelle antrat, gerade repariert. Ein anderer war rot gestrichen und trug neben einem großen Firmenschild die Aufschrift Bauleitung. Das war mein Büro. Es enthielt einen großen Schreibtisch, dessen rechter Teil von einem schräg gestellten Reißbrett eingenommen wurde, einen Computer mit Scanner und Printer, ein Telefon mit integriertem Fax, einen Fotokopierer, einen Kühlschrank, auf dem eine Kaffeemaschine und einige Tassen standen, ein paar Stühle und einen Aktenschrank. Natürlich auch ein Radio. Später stellte ich noch ein kleines Fernsehgerät hinein. Für diesen Zweck zapfte ich die Leitung des Kabel-TVs an, die bis zum Verteiler im Stiegenhaus verlegt war. An der Wand hing noch eine große Terminplantafel, auf der der Architekt, wenn er vorbeikam, seine Eintragungen machte. Neben den Containern stand ein mächtiger Kran. An manchen Tagen hatte ich viel zu tun und saß bis Mitternacht im Container.
Die Wohnungen des alten Mietshauses wurden neu aufgeteilt und verkauft. Die meisten waren noch zu haben. Wenn sich Käufer fanden, kamen sie zu mir. Ich bot ihnen Kaffee an, zeigte ihnen die Pläne und führte sie auf der Baustelle herum. Alle wollten die Mansardenwohnungen mit Dachterrassen. Aber die waren, als ich meine Stelle antrat, schon verkauft. Die Preise waren so hoch, daß eine Familie mit zwei durchschnittlichen Einkommen keine Chance hatte. Meine richtige Arbeit begann erst, wenn die Käufer für bestimmte Wohnungen Interesse zeigten, aber Änderungswünsche hatten. Zuvorkommend ging ich auf ihre Wünsche ein und versuchte herauszufinden, wie versiert die Kunden in bautechnischen Angelegenheiten waren. Vor allem bei größeren Umbauwünschen, die die Qualität einer noch unverkauften Nachbarwohnung beeinträchtigt hätten, mußte ich zur unendlichen Reihe von kommunalen Baugesetzen und feuerpolizeilichen Vorschriften einen neuen technischen oder behördlichen Hinderungsgrund dazuerfinden, der so plausibel klang, daß sich die Kunden am Schluß nicht über die Eigenart des Hauses, sondern über die Eigenart ihrer Wünsche wunderten und bei der Stange blieben. Hatten wir uns geeinigt, rief ich in der Firma an und sagte: »Ihr könnt den Champagner kalt stellen. Die Herrschaften soundso kommen den Vertrag unterzeichnen.«
Dann mußte ich leider wirklich arbeiten, und wenn es bis spät in die Nacht hinein dauerte, denn der Architekt wollte am nächsten Morgen die Umbaupläne sehen. An manchen Tagen hatte ich überhaupt nichts zu tun. Aber ich mußte jederzeit telefonisch erreichbar sein, auch während der Mittagszeit. Ich sagte dem Firmenchef, er solle mir ein Handy geben. Doch er bestand darauf, daß ich nicht irgendwo, sondern an der Baustelle erreichbar war. An meinem Container war eine Außenklingel des
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