Opernball
Einige traten hinter ihn. Da fand er die Sprache wieder. Er sagte: »Wenn du willst Krieg, Kapo, kannst du haben Krieg.«
»Ja, ich will Krieg«, schrie der Polier. Dann warf er dem alten Bosnier den Eisenschneider vor die Füße. Im Weggehen drehte er sich noch einmal um und sagte: »Wenn noch ein Armierungseisen zu kurz abgeschnitten wird, kommst du wieder an die Handmischmaschine.«
Der alte Bosnier riß sich den Bauhelm vom Kopf und warf ihn auf den Boden. Der Polier ging mit mir in den Bürocontainer. Er nahm ein Bier aus dem Kühlschrank. »Dieses verkommene Saupack«, sagte er. »Ich kann den Tag nicht mehr erwarten, an dem wir es über die Karawanken zurücktreiben.«
Mit dem Fuß schlug er an die Containerwand, daß die an einem Haken hängenden Notlaternen wackelten. Ich hatte ihn noch nie so aufgebracht erlebt. Er setzte sich und schüttete das Bier in seinen Hals. Wenn er die Flasche absetzte, begann er wieder zu fluchen. Er sagte: »Joe hat recht gehabt. Man muß sie so lange ausräuchern, bis wieder unsere Leute angestellt werden.«
In diesem Moment kam eine neue Betonfuhre, und er mußte hinaus. Als er zurückkam, legte er mir die Hand auf die Schulter. »Du bist in Ordnung«, sagte er. »Komm doch am Wochenende mit uns aufs Land.«
Der Onkel des Poliers besaß einen alten, schon ziemlich verfallenen Gutshof in der Nähe von Rappottenstein. Ein großer Vierkanthof, in den es an mehreren Stellen hereinregnete, und eine Wiese. Die ursprünglich zum Haus gehörenden Grundstücke waren von den Bauern der Umgebung gekauft worden. Der Onkel des Poliers, ein Werkmeister bei den Wiener Stadtwerken, benutzte das Haus nicht mehr. Er hatte sich einen Landsitz schaffen wollen, dann aber nicht das Geld aufgebracht, um das große Haus zu sanieren. Alles, was einigermaßen benutzbar war, stammte von ausrangierten Straßenbahnen. Das Küchenregal war aus Haltestangen gebaut. An einem Haltegriff hingen ein Schöpflöffel und ein Püreestampfer. Das hofseitige Fenster einer Schlafkammer stammte aus der alten Wiener Stadtbahn. Wollte man es öffnen, mußte man an einem brüchigen Ledergurt ziehen. Das Fenster versenkte sich dann in eine Holzverschalung. Der Gurt ließ sich in mehreren Positionen an einem Eisennippel fixieren.
Der Kranführer, den auch ich bald Blader nannte, und der Polier hatten mich mit dem Auto abgeholt. Nach zwei Stunden Fahrzeit parkten wir vor dem hohen Tor des Gutshofes. Man konnte eigentlich nur mit dem Auto dorthin fahren. Mit dem Postautobus wäre man vier Stunden unterwegs gewesen und hätte dann noch ein paar Kilometer zu Fuß gehen müssen. Ich wurde zwei Burschen vorgestellt, die mir während der Fahrt als Drückeberger und Professor angekündigt worden waren. Sie kamen uns mit Bierflaschen entgegen. Sie boxten dem Polier und dem Kranfahrer auf die Brust, daß das Bier aus den Flaschen schwappte. Beide sagten, sie freuten sich, mich kennenzulernen, sie hätten schon viel von mir gehört. Einer von ihnen drückte mir eine Flasche Bier in die Hand. »Ex«, sagte der eine, und der andere erklärte mir: »Unser traditioneller Begrüßungsschluck.« So trank ich, wie der Polier und der Kranführer, die beide darin mehr Übung hatten, eine Flasche Bier, ohne abzusetzen. Bei der zweiten Flasche mußte ich passen. Druckeberger und der Professor waren nachsichtig. Da sie arbeitslos waren, verbrachten sie oft die ganze Woche auf dem Gutshof. Sie waren die eigentlichen Hausherren, die über alles Bescheid wußten. Der eine war ein ausgebildeter Drucker und nach fast zehnjähriger Tätigkeit entlassen worden. Mit Familiennamen hieß er Berger, daher Druckeberger. Er nahm im Haus die nötigsten Reparaturen vor, sorgte für die Einkäufe und bereitete Holz für den Ofen im Schießkeller. Er trug immer eine schwarze Schirmkappe. Daß er eine Glatze hatte, habe ich am ersten Wochenende gar nicht bemerkt. Der andere, der Professor, hatte sein Studium an der Höheren Technischen Lehranstalt abgebrochen und kurz bei einer Computerfirma gearbeitet. Seit die Firma in Konkurs gegangen war, fand er keine Arbeit mehr. Mittlerweile hatte er die Suche aufgegeben. Statt dessen war er den ganzen Tag mit dem Ausbau des High-Tech-Raums beschäftigt. »Kommt!« sagte er, »ich muß Euch meine neuesten Errungenschaften zeigen.«
Wir gingen über einen großen Hof, der auf zwei Seiten von desolaten Wirtschaftsgebäuden begrenzt wurde, zum alten Portal des Wohnhauses. Überall bröckelte der Verputz herab. Die
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