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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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zusammengekrümmt neben einer Stützungsschalung.«
    Ich fragte: »Hat er nicht geschrien, als sie ihn zusammengeschlagen haben?«
    Darauf der Polier: »Joe hat nie geschrien. Die Freude hat er ihnen nicht gemacht. Ich habe mich zu ihm hingekniet und habe ihn gefragt: Was ist los?«
    »Alles okay«, hat er geantwortet. Dann ist er aufgestanden, aus der Nase hat er geblutet, und ist zum Stiegenhaus hinausgewankt. Kurz darauf ist er zurückgekommen, mit einem Armierungseisen in der Hand. Ich bin sicher, er hätte sie erschlagen.
    »Lauft, so schnell ihr könnt«, habe ich gerufen. »Und laßt euch nie wieder blicken!«
    Der Polier rauchte sich eine neue Zigarette an und nahm ein Bier aus dem Kühlschrank. »Joe ist ein toller Bursche«, sagte er. »Er ist jünger als wir, aber irrsinnig gescheit, und er weiß, was er will.«
    Ich fragte: »Ist er gekündigt worden?«
    »Als zwei Neue eingestellt werden sollten«, sagte der Polier, »ist Joe zur Geschäftsleitung gegangen und hat gesagt: Ich verlange, daß ihr zwei Einheimische einstellt! Die haben ihn rausgeworfen. Am nächsten Tag waren zwei neue Illegale bei uns. Sie wohnten in den beiden schwarzen Containern. Joe hat zu ihnen gesagt, sie sollen verschwinden, er werde sie nicht dulden. Aber sie sind geblieben. Als sie einmal am Abend mit ihren Freunden mitgingen, hat er ihnen die Buden ausgeräuchert. Er wurde entlassen. Deinem Vorgänger ist es hier zu heiß geworden. Er hat sich auf eine andere Baustelle versetzen lassen, weil er fürchtete, daß Joe zurückkommt, um sich für die Kündigung zu rächen. Es sind natürlich auch alle Illegalen sofort entlassen worden, weil der Boss eine Untersuchung befürchtet hat. Vier Tage standen wir mit den paar Angemeldeten allein herum. Dann kam ein neuer Schwung Ausländer.«
    »Und die sind jetzt angemeldet?« fragte ich ihn. Da lachte er mich aus und reichte mir die Bierflasche. Er sagte: »Komm, trink einen Schluck, Du Blödmann. Der Chef hat jemanden im Arbeitsinspektorat sitzen, der ihn anruft, bevor es eine Kontrolle gibt. Deshalb mußt Du hier telefonisch erreichbar sein. Verstehst Du? Damit das Pack rechtzeitig über alle Berge ist.«
    Der Polier und der Kranführer waren befreundet. Sie gingen gemeinsam mittagessen oder kamen in meinen Bürocontainer, um ihre mitgebrachte Jause zu verzehren. Der Polier trank dazu mindestens zwei Bier, der Kranführer, der mit seinen zerzausten, fettigen Haaren immer aussah, als hätte er die Nacht durchgezecht, trank nur Mineralwasser.
    »Nicht im Dienst«, sagte er. »Das hätte mich beinahe den Job gekostet.«
    Langsam lernte ich auch ihn kennen. Er war um die Hüften etwas untersetzt, hatte einen hervortretenden Bauch, ohne aber wirklich dick zu sein. Dennoch nannte ihn der Polier Blader. Ich bekam mit, daß er seine Wochenenden meistens mit dem Polier auf dem Land verbrachte. Daß zwischen den beiden etwas Besonderes lief, wurde mir zum ersten Mal klar, als der Polier die Bierflasche hob und »Heil Hitler« sagte. Und der Kranführer antwortete mit »Heil Hitler«, als wäre das ganz normal. Aber je öfter sich dieses »Heil Hitler« wiederholte, desto weniger Bedeutung maß ich dem bei. Darüber hinaus machten sie damals noch keine Bemerkungen.
    Die ersten Monate verliefen ziemlich gleichförmig. Ich drehte den Leuten Wohnungen an, zeichnete Baupläne um, ging regelmäßig ins Café Rainer, sah fern und spielte mit meinem Computer. In ihm war eine gigantische Festplatte installiert, deren größter Teil von Spielen eingenommen wurde, unter anderem von einem Flugsimulator, dem besten, den es damals im Handel gab. Der Großteil der Spiele stammte noch von meinem Vorgänger. Nach und nach kopierte ich neue dazu. Während ich mit meinem Flugzeug unterwegs war, hörte ich den Lärm der Baustelle. Das protzige Gedröhn der Lastautos, wenn sie zurückschoben, um ihre Betonmischer zu entladen, das Quietschen der Hydraulik, die Hammerschläge auf Betonstahl, Klampfen und Verschalungen, das Sirren der Kreissäge, das Auf- und Abschrillen des Winkelschleifers, und immer wieder das Durcheinanderschreien aufgebrachter Bauleute und die Wutausbrüche des Poliers. Einmal hörte ich ihn toben: »Dich alten Sauhund werde ich demnächst erschießen. Erschießen, verstehst du? Päng, päng, wie ein Tschetnik.«
    Ich ließ das Flugzeug abstürzen und lief hinaus. Der Polier hielt den Handeisenschneider wie ein Maschinengewehr. Dem alten Bosnier, auf den die anderen hörten, stand das Maul offen.

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