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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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Telefons angebracht, die so laut schellte, daß man sie nicht nur in der ganzen Gasse, sondern auch im benachbarten Café Rainer hören konnte. Kennen Sie den Film Es war einmal in Amerika von Sergio Leone? Dort gibt es ein Telefon, das mit dem gleichen eindringlichen Ton läutet. Robert De Niro liegt in einer Opiumhöhle in Trance und hört, unfähig, sich aufzuraffen, dieses andauernde Telefonläuten. Im Café Rainer – es ist kein richtiges Kaffeehaus, sondern nur ein kleines Espresso – war ich bald Stammgast. Meist saß ich allein an einem Tisch und las Zeitungen, oder sah einer Sportübertragung im Fernsehen zu. Der Chef spielte Karten und trank ein kleines Bier nach dem anderen. Neben der Schank winselte und fauchte der Glücksspielautomat. Um die Mittagszeit füllte sich das Lokal mit Männern aus den umliegenden Büros. Sie sprachen vom Sport, von Autos, von Fernsehsendungen, und sie schimpften über die Ausländer. Jup Bärenthal bewunderten sie. Aber es war unwahrscheinlich, daß sie ihn auch wählten. Sie schimpften nur. Ihr Mut reichte gerade noch dazu, der slowakischen Kellnerin, deren Zigaretten meist ungeraucht im Aschenbecher verglommen, auf den Arsch zu klopfen. Wenn an der Baustelle das Telefon klingelte, spurtete ich los. Spätestens beim fünften Läuten war ich am Apparat. Ursprünglich dachte ich, diese Anordnung, ständig erreichbar zu sein, habe mit den noch unverkauften Wohnungen zu tun. Aber ich wurde bald eines Besseren belehrt.
    An dieser Baustelle arbeiteten mit Ausnahme des Poliers, des Kranführers, meiner und einiger Facharbeiter, die für spezielle Arbeiten vorbeikamen, nur Ausländer - Slawen aller Art und ein paar Türken. Es wurde ständig geschrien. »Trottel«, »Arschloch«, »Stummelschwanz«, »Tschuschensau«, das war der normale Umgangston. Das Merkwürdige war, daß einige zurückschrien, freilich ohne gröbere Schimpfwörter zu gebrauchen. Das taten sie wahrscheinlich in ihren eigenen Sprachen, die wir nicht verstanden. Den Polier nannten sie Kapo. Er war vielleicht fünfundzwanzig Jahre alt. Weil er die Haare ganz kurz trug, schaute er wirklich so aus, wie man sich einen Kapo vorstellt. Sein Bauhelm war weiß, die der Arbeiter gelb. Auch mir war ein weißer Bauhelm zugeteilt, ich habe ihn aber kein einziges Mal angerührt. Er hing am Haken neben der Eingangstür.
    Beim Gerüstumbau fiel einmal einem Arbeiter eine Schelle auf die Zehen. Da fluchte er in gebrochenem Deutsch: »Die kruzi die türken den scheissan den Orbeit.« Das wurde eine unserer Standardwendungen. Wenn ich den Kranführer in der Früh fragte: »Wie geht's?«, antwortete er: »Die kruzi die türken den scheissan den Orbeit.«
    Der Polier kam manchmal zu mir in den Container, trank einen Kaffee, oder ein Bier, rauchte eine Zigarette. »Das nächste Mal wird das gesamte Pack ausgeräuchert«, sagte er.
    Ich verstand nicht, was er meinte. Anfangs machte er nur Andeutungen, aber bald gewann ich sein Vertrauen – und da fiel erstmals der Name Joe.
    Der Geringste war an dieser Baustelle als Hilfsarbeiter beschäftigt gewesen. Die meisten Ausländer hatten keine Arbeitspapiere. Aber sie hatten sich verbündet, und setzten den Chef unter Druck. Es war soweit gekommen, daß sie bestimmten, wer eingestellt wurde. Es gab ein paar ältere Bosnier und Montenegriner, die schon längere Zeit bei der Firma beschäftigt waren. Nach und nach brachten sie alle ihre Freunde und Verwandten unter. Dagegen hat Joe sich aufgelehnt, aber vergebens.
    »Joe war nur knapp über einen Monat hier«, sagte der Polier. »Ich wollte ihn zuerst gar nicht nehmen. So ein schmächtiges Bürschchen mit selbstgedrehten Zigaretten. Kam vom Gymnasium und hatte vorher noch nie gearbeitet. Aber geschickt. Hat kurz bei einer Arbeit zugeschaut und sofort begriffen, wie es geht. In der Zeit, als Joe da war, haben die Burschen gespurt. Ich mußte gar nicht mehr hinaufgehen. Ich erklärte ihm, was zu tun ist, und er sorgte dafür, daß es geschah. Hat nicht herumgeschrien, hat sich nicht aufgeregt, sondern ganz kühl seine Kommandos gegeben. Wenn einer nicht parierte, hat er ihm den Maurerfäustel nachgeworfen. Irgendwann hat es dann doch eine Auseinandersetzung gegeben. Joe hat einem Bosniaken die Schaufel ins Gesicht geschlagen. Daraufhin haben sie ihn verdroschen. Das waren zwei Brüder. Sie haben es nicht gleich getan, sondern sie haben gewartet, bis ich unten war, um einer Betonfuhre die Absperrung zu öffnen. Als ich zurückkam, lag Joe

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