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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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morsche Eingangstür drohte aus den Angeln zu fallen.
    Druckeberger sagte: »Joe und Feilböck werden erst morgen mit den anderen kommen.« Ich merkte, daß alle enttäuscht waren. Ich aber war freudig überrascht, denn der Polier hatte mir nicht gesagt, daß ich Joe kennenlernen würde.
    Wir kamen, nach einem feucht riechenden Vorraum, zu einem völlig abgedunkelten Zimmer. Der Professor ging voraus und drehte an einer alten Straßenbahnkurbel. Plötzlich ging das Licht an. Der Raum war sehr groß, mindestens fünf Meter hoch und an allen Wänden mit den Lattenrosten der alten Wiener Stadtbahn ausgekleidet. Im oberen Teil waren Hunderte von Straßenbahnrückspiegeln montiert, die von Scheinwerfern angestrahlt wurden. Der untere Teil glich dem Kontrollraum eines Atomkraftwerks. Entlang der Wände stand eine Fülle von technischen Geräten und Monitoren, davor Straßenbahn- und Autobussitze. An der rechten Seite gab es eine Art Altar. Auf einem rot drapierten Tisch standen drei hohe Kerzenleuchter.
    An der Wand hingen nebeneinander vier gerahmte Porträts, darunter, neben einem englischsprachigen Gedicht, noch ein kleineres Illustriertenfoto, das nur mit Reißnägeln am Lattenrost fixiert war. Über den Porträts standen in einem flachen Bogen die Worte geschrieben: Bewegung der Volkstreuen. Die kleine Galerie war flankiert von zwei langen deutschen Reichsflaggen. Nur einen der Abgebildeten erkannte ich: Adolf Hitler.
    Ich stand davor und dachte mir: Nun bin ich bei den Nazis gelandet. Hätte ich nicht am nächsten Tag den Geringsten kennengelernt, es wäre sicher mein einziges Wochenende in Rappottenstein geblieben. Der Polier erklärte mir, wer die anderen Köpfe waren. Alfred Rosenberg und Richard Walter Darre. Das dritte gerahmte Porträt war die Fotografie eines alten Gemäldes. Es zeigte Joachim von Fiore. Das Illustriertenfoto darunter zeigte einen jungen Mann mit verkehrt aufgesetzter Baseballmütze. Das war Steven McAlpine, der Führer der amerikanischen White Workers Union. Das Gedicht daneben stammte von ihm:
     
    We are everywhere, and we are nowhere.
    You fail to see us, but we are here.
    We are the predators in your urban jungles.
    And our time to strike is fast approaching.
     
    »Du kannst Englisch?« fragte ich den Polier.
    »Nur ein bißchen«, antwortete er. »Joe hat uns das erklärt.«
    Vor dem Altar waren, kreisförmig angeordnet, neun gepolsterte Drehstühle und ein Stehpult festgeschraubt. Die Stühle stammten aus den Lenkerkabinen alter Straßenbahnen. Das Stehpult befand sich auf der Seite des Altars.
    »Moment«, sagte der Professor, »jetzt kommt die Sensation der Sensationen.« Er ging zum abgeschnittenen Cockpit eines alten Autobusses, dessen Windschutzscheibe aus drei großen, nebeneinandermontierten Monitoren bestand. Ich folgte ihm. Er betätigte ein paar Hebel und Knöpfe, dann horchte er erwartungsvoll. Sein schmächtiges Gesicht war voller Pickel. »Gleich kommt es«, sagte er. Plötzlich dröhnte aus den Lautsprechern laute Techno-Musik, und der ehemalige Salon des Hauses verwandelte sich in eine Diskothek mit blinkenden Lichtern in allen Farben.
    »Deine neueste Komposition?« fragte der Blade.
    »Nein«, sagte der Professor und drehte ein wenig leiser. »Vorgestern habe ich mit Hilfe der Leute von McAlpine eine Musikfirma in Washington angezapft. Neueste, digitalisierte Musik. Direktimport aus Amerika.«
    Der Professor war ein technisches Genie. Den High-Tech-Raum hatte er mit Bauteilen seiner ehemaligen Computerfirma eingerichtet. Nach dem Konkurs der Firma konnte er sich über einen ehemaligen Kollegen, der bald bei einer anderen Firma unterkam, weitere Teile besorgen. Manche bekam er geschenkt, für andere mußte er bezahlen. Alle gaben monatlich einen Teil des Gehalts für Rappottenstein. Die Summe war nicht festgelegt. Der Großteil des Geldes aber stammte vom Geringsten. Er hatte auf seine bevorstehende Erbschaft einen Kredit aufgenommen.
    Ich habe immer gemeint, ich könne mit Computern gut umgehen, aber gegen den Professor war ich ein Ignorant. Er hat uns alle mit Netzwerken versorgt und uns deren Bedienung beigebracht. Ohne seine Schulung hätten wir nach dem Gürtelhausbrand nicht unbemerkt mit dem Geringsten in Kontakt bleiben können. Der Professor und der Geringste haben zusammen Monate vor dem Computer verbracht.
    Das Gehöft war ein Paradies. Es lag gut einen Kilometer abseits des nächsten Dorfes. Vom vorderen Tor blickte man auf eine hügelige Landschaft, in der

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