Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
Vom Netzwerk:
vergessen. Aufgeführt waren weiterhin ein Schneider in der Geologengasse, ein Bäcker in der Landstraßer Hauptstraße, ein Wirtshaus in der Löwengasse und die Adresse einer Frau in der Salmgasse. Er sagte, als würde es ihm nichts Besonderes bedeuten: »Wenn Du willst, kannst Du den Zettel gleich wegwerfen. Aber solltest Du zufällig einmal Lust und sonst nichts zu tun haben, es würde mich interessieren, ob es die noch gibt. Sie sind alle in der Nähe meines damaligen Wiener Wohnhauses.«
    »Landstraßer Hauptstraße?« fragte ich. »Kann das stimmen?«
    »Ich habe es so in Erinnerung. Der Bezirk heißt Landstraße.«
    Ich versprach ihm, die Adresse zu überprüfen.
    »Nein«, wehrte er ab, »nur wenn Du einmal sonst nichts zu tun hast. Die Frau wird sicher nicht mehr dort wohnen. Aber vielleicht Verwandte. Mich würde interessieren, was aus ihr geworden ist, ob sie überhaupt noch lebt.«
    »War sie Deine Freundin?«
    »Das ist eine lange Geschichte. Die erzähle ich Dir, wenn Du uns das nächste Mal besuchst. Entschuldige, ich habe Dir keinen Aschenbecher gebracht.«
    Ich mußte ohnedies schon gehen. Im Hinausgehen sagte mein Vater: »Der Schneider war hervorragend. Wenn es ihn noch gibt, laß Dir dort einen Anzug anmessen.«
    Beim Verabschieden umarmte ich meine Mutter, mein Vater hingegen wehrte ab. Als ich ihn dennoch auf die Wange küßte, blitzte mir der Gedanke auf, es könnte unsere letzte Begegnung sein. Während ich zum Wagen ging, zündete ich mir eine Zigarette an. Ich drehte mich noch einmal um. Meine Eltern standen nebeneinander in der Haustüre und schauten mir nach.
     
    Der Ingenieur
    Drittes Band
     
    Der Geringste war anders. Er lebte bedingungslos für seine Mission, für unsere Mission, nein, er selbst war die Mission. Ich habe an ihm keinen einzigen Moment der Mutlosigkeit erfahren. Auch nicht der Angst. Von dem, was er tat, war er hundertprozentig überzeugt. Nicht daß er ohne Zweifel gewesen wäre. Er zweifelte an anderen, nicht an sich selbst. Wenn er sich zu etwas entschlossen hatte, dann führte er es durch. Seine Unbeugsamkeit und seine Entschiedenheit, das, was er dachte, ohne Abstriche zu leben, haben ihn, obwohl er der jüngste von uns war, zum Führer gemacht. Zur Zeit der Volkstreuen hatte es keinen einzigen Versuch gegeben, die Führerschaft des Geringsten in Frage zu stellen, nicht einmal von Feilböck.
    Ich habe das Bild noch vor mir, wie ich ihn das erste Mal sah. Er traf auf dem Gutshof in Rappottenstein ein. Pandabär fuhr den Wagen, neben ihm der Lange. Im Fond saßen der Geringste und Feilböck. Der Polier, der Blade, Druckeberger und der Professor eilten ihnen mit Bierflaschen entgegen, ich folgte ihnen. Als die neu Angekommenen ausstiegen, war ich noch im Hof. Das Tor stand offen. Ich wußte nicht, wer von den vieren Joe war, aber ich sah es auf den ersten Blick. Er war knochendürr und hatte dunkles, fast schwarzes Haar. Als er mich erblickte, ließ er alle stehen und kam auf mich zu. »Du bist der Ingenieur?« fragte er. Ich nickte. »So sind wir vollzählig.« Er boxte mich auf die Brust, als ob wir alte Freunde wären. Dann erst nahm er den Begrüßungstrunk.
    »So sind wir vollzählig.« Mir war nicht gleich klargewesen, was er damit gemeint hatte. Als wir uns später im High-Tech-Raum zu unserer ersten Totenmesse einfanden, wurde es mir deutlich. Totenmesse? Das erkläre ich Ihnen später. Im High-Tech-Raum waren neun Stühle im Kreis montiert. Und ich war der neunte in der Runde. Man hatte mich erwartet. Ich war der letzte, der in die Bewegung der Volkstreuen aufgenommen wurde. Ich weiß nicht, warum gerade ich auserwählt wurde. Aber ich habe es immer für eine besondere Auszeichnung gehalten. Später gab es von Feilböck ein paar zaghafte Vorstöße, noch andere miteinzubinden. »Nicht direkt aufnehmen«, sagte er, »aber persönliche Kontakte pflegen.« Feilböck hat immer von einer Vernetzung mit anderen Gruppen geträumt. Der Geringste hatte nichts gegen informelle Kontakte, er war sogar begierig danach, zu erfahren, was andere Gruppen dachten und welche Aktionen sie planten. Aber er war strikt dagegen, unser Geheimnis anderen preiszugeben. Er sagte: »Siehst Du noch irgendwo einen Stuhl im Kreis? Wir sind komplett.«
    So blieben, sieht man von der Staatspolizei ab, der Gaubeauftragte aus Salzburg und sein Stellvertreter auch die einzigen Besucher, die den High-Tech-Raum sahen. Der Geringste war überzeugt davon, daß jede Erweiterung unserer Gruppe uns nur

Weitere Kostenlose Bücher