Opernball
Volksgemeinschaft ist der falsche Ausdruck. Ich sollte besser sagen: weiße Völkergemeinschaft. Uns war die nordische oder arische Volksgemeinschaft, wie wir sie in den Schriften von Rosenberg und Darre beschrieben fanden, zu eng gefaßt. Feilböck war der Meinung, eine weiße Völkergemeinschaft habe sich an der deutschen Kultur zu orientieren, der Geringste lehnte das ab. Er erzählte uns, daß die Idee der Volksgemeinschaft auch im Widerstand gegen die Deutschen auftrat, etwa in der böhmischen Taboritenbewegung. Bei der nächsten Totenmesse las er Texte über die Ideen der Taboriten vor, über ihren erbarmungslosen Kampf gegen die Kirche und gegen Kaiser Sigismund. Da konnte auch Feilböck eine gewisse Bewunderung für Jan Ziska nicht verhehlen.
Über die Rolle der slawischen Völker wurde immer wieder gesprochen. Der Geringste war der Meinung, daß sie prinzipiell zur weißen Völkergemeinschaft gehörten, ebenso wie die Ungarn und Rumänen, daß sie aber zuerst aus unseren Staaten vertrieben und gezwungen werden müßten, ihre eigene Völkergemeinschaft zu gründen. Dann werde man sehen, wieweit man mit ihnen zusammenarbeiten könne. An den Slawen verachteten wir am meisten, daß sie sich willfährig ausbeuten ließen und dadurch alles, was es an sozialen Sicherheiten bei uns bereits gegeben hatte, wieder zerstörten. Der Geringste fragte: »Wie sollen wir die Parasiten unseres Volkes bekämpfen, wenn sich ihnen die Ausländer bereitwillig zur Verfügung stellen?«
Der Kampf gegen die Ausländer war vorrangig. Er war die Voraussetzung für einen Kampf um das dritte Reich. »Wenn wir sie nicht rechtzeitig vertreiben«, sagte der Geringste, »werden sie sich eines Tages erheben, und sie werden so viele sein, daß sie zu Herren werden und wir zu Untermenschen. Und ein neues Jahrhundert des Blutvergießens steht uns bevor.«
»Denkt an den verzweifelten Kampf von Tom Metzger und seiner White Aryan Resistence in Kalifornien«, sagte der Professor. »Bei denen ist die Aufgabe kaum noch zu lösen. Sie müßten zwei Drittel aller Bewohner von Los Angeles vertreiben.«
Wir hatten damals nur einen vagen Plan. Bis zum Jahr Zweitausend wollten wir alle Slawen und alle Ausländer, die nicht der weißen Völkergemeinschaft angehören, aus unserem Land haben. Natürlich wußten wir, daß wir allein dazu nicht in der Lage waren. Daher wollten wir die Ausländer mit gezielten Aktionen dazu bringen, sich zu organisieren und ihrerseits gewalttätig zu werden, um so den Widerstand des Volkes hervorzurufen. Letztlich würden dann die Politiker gezwungen sein, umfassende Vertreibungsmaßnahmen zu beschließen.
Joachim von Fiore hatte die Apokalypse so interpretiert, daß das erste Zeitalter, das Zeitalter des Vaters, mit Christi Geburt endete. Dann sei das Zeitalter des Sohnes gekommen, das Zeitalter der Predigt des Evangeliums. Das dritte Zeitalter, das Zeitalter der Liebe, Freude und Freiheit, so sagte er voraus, werde um 1260 anbrechen. Diese Prophezeiung hat zwar viele Anhänger gefunden, aber ihr Kampf war ergebnislos.
»Joachim wollte selbst teilhaben am Kampf um das dritte Zeitalter«, sagte der Geringste. »Deshalb ist sein Irrtum verständlich. In Wirklichkeit kämpfte er, ohne es zu wissen, für das zweite Zeitalter. Die Apokalypse wurde erst nach Christi Geburt geschrieben. Wenn man die darin enthaltenen Epochen von tausend Jahren ernst nimmt, darin war das erste Zeitalter identisch mit dem ersten Jahrtausend. Es war nicht das Zeitalter des Sohnes, sondern das des Vaters, in dem die Kirche sich gegen ihre äußeren Feinde durchsetzte. Dann erst kam das Zeitalter des aufbegehrenden Sohnes, des Kampfes um die richtige Lehre der Brüderlichkeit. Ein Kampf, der von Jahrhundert zu Jahrhundert härter wurde und im zwanzigsten Jahrhundert die ganze Welt erfaßte. Jetzt stehen wir an der Schwelle zum dritten tausendjährigen Reich.«
Von Totenmesse zu Totenmesse wurde uns bewußter, daß wir einen alten Auftrag zu erfüllen hatten, daß es an uns lag, den entscheidenden Funken zu schlagen für den großen Weltenbrand, aus dem ein neues, tausendjähriges Reich hervorgehen wird. Der Kampf gegen die Ausländer sollte der Anfang sein. Ihre Zahl ist wie der Sand am Meere. Und sie zogen herauf über die weite Erde und umzingelten das Lager der Heiligen und die geliebte Stadt. Aber es fiel Feuer vom Himmel herab und verzehrte sie. Und der Teufel, ihr Verführer, wurde in den Pfuhl von Feuer und Schwefel geworfen, wo auch das
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