Opernball
von Zeit zu Zeit mit dem Verbinden inne und machte dann wieder weiter. Als er fertig war, erhob er sich und ging fort. Der alte Sicherheitsdirektor erhob sich ebenfalls. Wieder sah man ihn reden. Der Fingerlose war nicht im Bild. Dann kam er zurück und reichte dem Alten zum Abschied die linke Hand.
Das Licht wurde aufgedreht. Reso Dorf stellte sich vor der Leinwand auf und bat den alten Sicherheitsdirektor, uns möglichst detailgenau zu sagen, was bei dieser Begegnung gesprochen wurde. Der alte Sicherheitsdirektor erhob sich, zog an seinem Hosenbund und drehte sich zu uns. Er zog immer an seinem Hosenbund, weil ihm der Bauch drüberhing.
»Das war vor fast zwei Jahren«, sagte er. »Da hat ständig ein Mann angerufen, der mich persönlich sprechen wollte und behauptete, es gehe darum, eine Katastrophe zu verhindern. Den anderen wollte er nichts mitteilen, nur mir persönlich. Er blieb hartnäckig, bis ich ihn schließlich empfangen habe. Seine Wunde, hat er mir erzählt, habe ihm eine Gruppe zugefügt, die sich Die Entschlossenen nennt. Die Gruppe plane einen Anschlag auf den Wiener Opernball. Er selbst sei Mitglied dieser Gruppe gewesen, habe sich aber gegen den Plan gestellt. Deshalb sei er bestraft worden. Man habe ihm den kleinen Finger ausgerissen. Er sei gekommen, um den Anschlag zu verhindern.«
Reso Dorf unterbrach den alten Sicherheitsdirektor. »Und dieser Fetzenfinger hat keinen Hinweis gegeben, wer die sogenannten Entschlossenen sind?«
»Leider«, fuhr der Alte fort. »Ich habe ihn dann gefragt, wie er heiße. Aber auch das hat er mir nicht gesagt. Er gab schließlich zu, daß er gar nicht wisse, wie der Anschlag vor sich gehen solle. Aber wenn wir ihm Straffreiheit zusichern, werde er für uns arbeiten und die Details herausfinden.«
»Straffreiheit wofür?« fragte Reso Dorf. Er wußte es natürlich, aber er machte es für uns ein wenig spannender.
»Das habe ich ihn auch gefragt«, sagte der Sicherheitsdirektor. »Aber der Fingerlose wollte es mir nicht sagen. Es war nicht möglich, ihm Straffreiheit zuzusichern, da er weder Angaben über seine Rolle in dieser Gruppe machte noch über begangene Delikte Auskunft geben wollte.«
Der Fingerlose beharrte jedenfalls auf Straffreiheit. Der Sicherheitsdirektor erklärte ihm, seine mögliche Rolle als Kronzeuge oder als V-Mann könne man erst dann diskutieren, wenn wir abschätzen könnten, was wir von ihm zu erwarten hätten.
Sie sind so verblieben, daß der alte Sicherheitsdirektor den Fingerlosen bat, Details über den geplanten Anschlag zu recherchieren und sich wieder zu melden. Er werde in der Zwischenzeit schauen, was er für ihn machen könne. Und jetzt kommt das Ungeheuerliche. Er ließ den Fingerlosen gehen, ließ ihn einfach fortgehen, auf Nimmerwiedersehen. Wahrscheinlich wartet er heute noch darauf, daß er sich meldet. Das war auch die erste Frage, die man an ihn richtete. Normalerweise werden Vorgesetzten keine kritischen Fragen gestellt. Ich hätte mich sicher nicht getraut. Aber in diesem Fall war es einfach zu wichtig. Schließlich hatte einer den Mumm, aufzustehen und unverblümt zu fragen: »Warum haben Sie den Fingerlosen gehen lassen?«
Der Alte antwortete: »Ich war hundertprozentig überzeugt, er würde wiederkommen.«
Deshalb habe er sich an Major Leitner gewandt, »den besten Polizeijuristen von Wien«, wie er ihn nannte, und ihn gefragt, was man dem Fingerlosen für seine Informationen anbieten könne. Im Vorführraum stand nun Major Leitner auf und erzählte, wie es weiterging.
»Ich habe empfohlen«, sagte er, »diesem Mann Straffreiheit zuzusichern – wenn er darauf besteht, sogar schriftlich. Ob das vor Gericht gehalten hätte, ist eine andere Sache – wahrscheinlich nicht. Weiter habe ich empfohlen, die Sache sehr ernst zu nehmen und Reso Dorf damit zu befassen. Immerhin geht es ja um die Sicherheit bedeutender Politiker und internationaler Persönlichkeiten.«
Dann erklärte uns Reso Dorf, er habe, als er den Fall übernahm, darüber keine Auskunft geben können, da auch er noch hoffte, der Fingerlose werde sich wieder melden. Vergeblich.
Am Tag des Balls – das war der Ball ein Jahr vor der Katastrophe – wurde das Opernhaus von Bombenexperten genau durchsucht. Die Zahl der Sicherheitsbeamten unter den Opernballgästen wurde erheblich aufgestockt. Aber es passierte nichts.
Naja, drinnen passierte jedenfalls nichts. Die Demonstration draußen war wieder abgesagt worden. Dennoch hatte es eine Straßenschlacht
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