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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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still. Sie setzten sich in die erste Reihe. Schließlich kam Reso Dorf, wie immer beschwingten Schrittes. Der Mann war ein Phänomen. Egal, wann und wo er auftrat, er wirkte wie einer, der gerade einen erholsamen Urlaub hinter sich gebracht hat. Aber so ist er ja heute noch. Haben Sie ihn einmal im Fernsehen gesehen? Die Hände verschränkt, so als ob er beten würde, das hat er damals schon gemacht. Er war es jedenfalls, der uns begrüßte. »Ich hoffe«, sagte er, »das Ganze ist ein Fehlalarm.«
    Er nahm ein gefaltetes Papier aus der Innentasche seines Sakkos und hielt es in die Höhe, ohne es zu öffnen. »Wir haben Hinweise auf eine Lieferung von einer irakischen Munitionsfabrik nach Wien. Wir wissen nicht, was diese Lieferung enthält. Es könnten auch chemische Waffen sein.«
    »Ausländerhilfsverein«, hörte man einen vorlauten Kollegen sagen.
    Reso Dorf lächelte. »Ihre Naivität, Herr Kollege, ist entzückend. Oder halten Sie uns für vollkommen vertrottelt? Seit Tagen tun wir nichts anderes, als alle Mitglieder des Ausländerhilfsvereins zu verhören. Wir haben ihnen die Bude auf den Kopf gestellt. Leider ohne Erfolg. Einen einzigen anderen Hinweis haben wir noch. Deshalb habe ich Sie hierhergebeten. Wie Sie wissen, meine Herren« –er hatte das Papier wieder eingesteckt und die Hände verschränkt – »bin ich für die Sicherheit beim heutigen Fest der feinen Pinkel zuständig. Ich will mir nicht den Vorwurf machen lassen, nicht alles unternommen zu haben.«
    Reso Dorf kannten alle. Er leitete die Abteilung für Hochverrat und Kriminaldelikte wider den Staat. Das war eine spezielle Einheit der Staatspolizei, die nach dem Niedergang des Kommunismus vom Sicherheitsausschuß des Parlaments gegründet worden war, um das weitere Vordringen der russischen Mafia in unser Land zu verhindern. Sie war die bestausgestattete Abteilung überhaupt. Die hatten alles, wovon ein Polizistenherz nur träumen kann.
    Die Abteilung für Hochverrat und Kriminaldelikte wider den Staat war zwar einerseits ein Teil der Staatspolizei, andererseits aber auch wieder nicht. Sie unterstand nämlich nicht dem Leiter der Staatspolizei, sondern war einzig und allein dem Sicherheitsausschuß des Parlaments verantwortlich.
    Von den Amerikanern waren diskrete Hinweise gekommen, daß die russische Mafia nicht nur Teile unserer Wirtschaft kontrollierte, sondern mittlerweile auch begonnen hatte, politische Kontakte zu knüpfen. Reso Dorf, ein gebürtiger Serbe, der urspünglich mit Familiennamen Gerne hieß, sich aber nach seiner Einbürgerung, als er in den österreichischen Polizeidienst eintrat, umbenennen ließ, war der ideale Mann für diese Aufgabe. Kein Mensch hätte ihm den Polizisten angesehen. Er hatte oft eine derbe Ausdrucksweise, so, wie er sie auf unserer Polizeischule gelernt hatte. Bloß redete er auch öffentlich so. Bis heute eigentlich. Man geniert sich manchmal direkt. Aber er war ungemein erfolgreich. Jedes Jahr wurde er mit neuen Titeln und Orden ausgezeichnet. Ich weiß nicht, was er früher, vor seiner Flucht nach Österreich, gemacht hat. Es wurde jedenfalls gemunkelt, daß seine guten Ostkontakte von einer früheren Zusammenarbeit mit der politischen Polizei in Serbien stammen. Unser Postenkommandant sagte, als Reso Dorf wieder einmal eine Auszeichnung bekam und mit dem lächelnden Innenminister an seiner Seite in der Zeitung Öffentliche Sicherheit zu sehen war: »Den müssen sie ja befördern, sonst läßt er sie alle auffliegen.«
    Reso Dorf zeigte uns zwei Videos, beide von miserabler Qualität. Das erste war von einer Überwachungskamera im Büro des alten Sicherheitsdirektors aufgenommen.
    Man sah den Alten hinter seinem Schreibtisch sitzen, davor einen etwa dreißigjährigen, vielleicht auch jüngeren Mann mit einer dick verbundenen Hand. Langsam rollte er mit der anderen Hand den Verband auf. Bald sah man einen Flecken, der von Schicht zu Schicht größer wurde. An dieser Stelle klebte der Verband zusammen. Wenn der Mann am Verband riß, verzog er das Gesicht. Mit dem letzten Ruck kam eine eitrig verkrustete Wunde zum Vorschein – an der Stelle des Mittelhandknochens vom kleinen Finger. Sie zog sich bis zum Handgelenk hinauf. Statt des kleinen Fingers gab es nur ein paar wegstehende Fäden. Was der Mann sagte, war nicht zu hören, weil die Überwachungskamera im Büro des Sicherheitsdirektors ohne Ton war. Später band er die Hand wieder zu. Dabei redete er ununterbrochen mit dem Sicherheitsdirektor, hielt

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