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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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anderen wurden, als sie ihre Aufgabe erfüllt hatten, irgendwo verscharrt.
    »Die Hölle von Mostar« hieß meine Dokumentation. Sie wurde von allen ETV-Stationen gesendet und weltweit verkauft. Und doch war ich nicht zufrieden damit. Ich hatte gute Aufnahmen von den Ruinen der Stadt, von hilflos herumirrenden Menschen, von den zwei ins Nichts ragenden Bögen der alten türkischen Neretva-Brücke, von zerschossenen und niedergebrannten Moscheen. Und dann hatte ich natürlich die berühmt gewordene Handgranatenszene, die selbst in Illustrierten abgedruckt wurde. Die kroatische Sondereinheit und die Söldner kamen darüber hinaus jedoch nur in kurzen, fast belanglosen Ausschnitten ins Bild: als brave Soldaten, die ein Franziskanerkloster verteidigen. Aber in der Nacht zogen sie aus und überquerten, vollbehängt mit Sprengstoff, die Neretva. Sie jagten im Ostteil der Stadt die Moscheen in die Luft. Ich hatte noch immer auf eine Gelegenheit gewartet, ihr Treiben unbemerkt dokumentieren zu können. Nach dem Granatenanschlag auf das Kind war meine Handkamera aber plötzlich mit Gold gefüllt, das ich keinem Risiko aussetzen wollte. Wir ließen uns zu regulären Einheiten bringen, die uns den Rückweg nach Zagreb ermöglichten. Innerhalb von zwei Stunden war der Film geschnitten und kommentiert. Der für den Sendewagen zuständige Techniker überspielte ihn via Satellit nach Paris. Ein erster Ausschnitt, natürlich die Handgranatenszene, wurde noch in den Abendnachrichten gebracht. Der ganze Film ging am nächsten Tag europaweit auf Sendung. Durch die Eile meiner Abreise war es mir nicht möglich, nachzuweisen, daß die alte Brücke von deutschen Nazijungen gesprengt worden war. Sie hatten mit Stolz davon erzählt. Noch in Zagreb erfuhr ich, daß die Franziskaner-Kirche von Mostar in Flammen stehe. Das kroatische Fernsehen zeigte erste Bilder. Der Kommentar wurde mir von einem deutschen Kollegen übersetzt. Es war ein Aufruf zum Endkampf. Damit hatte ich die Attraktivität meines Standorts im Franziskanerkloster von Mostar eigentlich verpaßt.
    Dennoch, die Dokumentation war so erfolgreich, daß sich die Wiener ETV von da an selbst finanzieren konnte. Ich hatte schon Angst gehabt, dieses Ziel nicht rechtzeitig zu erreichen und mich deshalb bei der Pariser Zentrale rechtfertigen zu müssen. Als dann auch noch Sarajewo dazukam, war der weitere Ausbau meines Wiener Projekts gesichert, trotz aller Schwierigkeiten, die ich am Anfang hatte.
    Als ich nach Wien kam, war, abgesehen von einer Spendenaktion für die notleidende Bevölkerung in Jugoslawien, nichts davon zu bemerken, daß vierhundert Kilometer entfernt Krieg herrschte. Wien war ein wundersames, großes Dorf. Jeder schien hier jeden zu kennen. Das einzige, was die Menschen beschäftigte, war die Frage, wie sie ihr Leben möglichst ohne Anstrengung und doch abwechslungsreich über die Runden bringen könnten. Die Politiker hatten eine zusätzliche Sorge. Ihr ganzes Berufsstreben schien darauf abzuzielen, auf dem ETV-Bildschirm das eigene Gesicht zu sehen. Ich war keine zwei Wochen in Wien, da lud mich der Bundeskanzler zum Tennis ein, seine Frau zum Golf, der Parteichef der Konservativen zu einem Ausflug in die Alpen. Der Chef der Nationalen Partei schickte mir als Einstandsgeschenk einen blauen Seidenschal. Ich schickte ihn zurück mit der Bemerkung, daß ich noch nicht vorhätte, mich zu erhängen. Daraufhin lud er mich zum Abendessen ins Bristol ein. Burgtheater, Akademietheater und Staatsoper drängten mir Gratiskarten für ihre Premieren auf. Bald auch andere Theater. Geschäftsleute, Minister, Parteien, Chefredakteure, Gewerkschaften, Stadträte, alle schienen hier ununterbrochen Feste zu feiern.
    Und die Zeitungen und Zeitschriften, kleine, dümmliche Blättchen, wurden nur dann gründlich, wenn sie die stadtbewegende Frage behandelten, wer bei diesen Festen mit wem gesehen wurde.
    Es gab noch eine andere Seite der Stadt, die sogenannte Vorstadt. In den Gemeindebauten, einst der Stolz sozialistischer Kommunalpolitik, wilderte nun Jup Bärenthal, der Chef der Nationalen Partei. In der Anfangseuphorie der Öffnung des Eisernen Vorhangs hatte es einen unkontrollierten Flüchtlingsstrom aus osteuropäischen Ländern gegeben. Er war, als man die Grenze – nunmehr von der Westseite – wieder geschlossen hatte, von Kriegsflüchtlingen aus Jugoslawien abgelöst worden. Bis man auch diesen den Zutritt ins Land verwehrte. Mittlerweile hatte sich aber die Vorstadt

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