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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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erfolgreich zu Ende bringen will. Und wenn ihm die ganze Welt eine Poetik vorgibt, findet er seine besondere Befriedigung darin, die Regeln über Bord zu werfen. Ein Roman entsteht aus der Lust, die Wirklichkeit zu bezwingen.«
    »Ach, so sehen Sie das«, sagte der Geschäftsführer ironisch und sah mich lange an. Immerhin bekam ich eine Frist von vierzehn Tagen.
    Ich flog nach Belgrad, um mir eine Route nach Sarajewo zu sichern. Unser Sendewagen mit der Satellitenschüssel war jedoch in Zagreb stationiert, und dort sollte er bleiben. In der kroatischen Hauptstadt hatte mir der Hinweis auf ein freundschaftliches Verhältnis zum österreichischen Außenminister so manche Tür geöffnet. In Belgrad hingegen betonte ich immer wieder, daß die ETV-Zentrale nicht in Wien, sondern in Paris sei. Das Argument wurde um so schwächer, je länger sich die Entscheidung hinzog. Denn mittlerweile übten die Franzosen Druck aus, den Belagerungsring um Sarajewo zu öffnen. Das einzige, was mir half, war, daß auch der serbische Präsident Milosevic den ETV-Bildschirm für seine Zwecke nutzen wollte. Dennoch kam ich zunächst ohne Ergebnis nach Wien zurück.
    Da mir eine viertägige Amerikareise bevorstand, um Fred aus Moab abzuholen, verschob ich alle weiteren Bemühungen, nach Sarajewo zu kommen. Zwei Tage vor meiner Abreise kam ein Fax aus Belgrad. Im Sinne der neuesten Genfer Vereinbarung werde einer Delegation des Roten Kreuzes und ausgewählten Journalisten der Zutritt nach Sarajewo gewährt. Treffpunkt Innenministerium in Belgrad am folgenden Tag.
    Keine meiner Entscheidungen war je mit so viel schlechtem Gewissen und Selbstvorwürfen verbunden. Ich stellte mir Fred vor, wie er mit dem Hubschrauber in Moab landet, mich unter den winkenden, jubelnden und weinenden Angehörigen sucht, aber nicht findet. Hätte ich Fred nicht die Härte des Überlebenscamps verschwiegen, wäre es mir leichter gefallen, den Flug nach Colorado zu stornieren. So aber hatte ich etwas gutzumachen. In Moab, so überlegte ich, wäre es sicher einfacher, Freds Ärger in Vaterliebe zu ersticken, als später in Wien. Wie sollte er mir auch groß Vorwürfe machen, wenn daneben seine sechs Leidensgenossen ihre Eltern dankbar in die Arme schließen. Und doch bestellte ich das Ticket nach Belgrad. Ich faxte einen Brief nach Provo, mit der Bitte, ihn Fred sofort nach seiner Ankunft zu überreichen. Schließlich rief ich meine Mutter an und bat sie, Fred von Heathrow abzuholen, ihm Geld zu geben und ihn zum Anschlußflug nach Wien zu bringen. Das Ticket liege am reservationdesk der British Airways zum Abholen bereit. In Wien-Schwechat solle Fred ein Taxi zu meiner Wohnung nehmen und bei der Hausmeisterin, an der Klingel links unten, läuten. Meine Mutter wiederholte alles. Vielleicht machte sie sich auch Notizen. Dann wollte sie, daß ich ihr von Wien erzähle. Ich wimmelte sie ab. »Ich habe keine Zeit. Ich fliege morgen nach Sarajewo und muß noch eine Menge Vorbereitungen treffen.«
    »Bitte, paß auf Dich auf.«
    »Keine Angst, Mutter. In Sarajewo ist Gefechtspause.«
    Am Abend stellte ich in Freds Zimmer eine Vase mit roten Rosen, eine Schüssel Obst und eine Flasche Rotwein. Dann schrieb ich einen langen Brief. Ich bat Fred um Verständnis dafür, daß ich ihn reingelegt habe. Ich hätte keinen anderen Ausweg gesehen. Ich versprach ihm, alles zu tun, um sein Leben in Wien angenehm zu machen. Sobald ich zurück sei, könne er seine Stelle als Kameraassistent antreten.
    Ich steckte fünftausend Schilling in das Kuvert und lehnte es an die Blumenvase. Einen Reserveschlüssel der Wohnung übergab ich der Hausmeisterin. In der Nacht stand ich noch einmal auf und legte zwei Päckchen Zigaretten neben die Rotweinflasche in Freds Zimmer.
    Zu einer guten Kriegsreportage gehört nicht nur Glück. Man muß einen Riecher für das Unglück haben. Ich versuchte mir vorzustellen, welches das grausamste Verhalten des Feindes sein könnte, und machte mich darauf gefaßt. Es war zu erwarten, daß in Sarajewo nichts Aufregendes passieren werde, solange die Delegation des Roten Kreuzes dort war. Mein Ansuchen bei der Pressestelle des Innenministeriums, noch zwei, drei Tage länger in Sarajewo bleiben zu dürfen, wurde nach meiner Ankunft in Belgrad abgelehnt. Am Flughafen wurde jedes Gepäckstück von serbischen Soldaten ausgeräumt und genau kontrolliert. Das einzige, was außer persönlicher Kleidung und Filmmaterial mitgenommen werden durfte, waren zwei Kisten mit

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