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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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verändert. Die meist in engsten Raumverhältnissen zusammengedrängten Ausländer stießen auf eine wachsende Feindseligkeit der einheimischen Bevölkerung. Zwei oder drei Jahre vor meinem Eintreffen in Wien hatte es einen Brandanschlag auf ein Wohnhaus gegeben, bei dem 24 Ausländer getötet worden waren. Davon hatte ich in London gehört. Aber die Nachricht ging fast unter in der Fülle der Berichte von ähnlichen Anschlägen in Deutschland.
    Die Lage schien sich beruhigt zu haben, als ich nach Wien kam. Die rassistischen Gewalttätigkeiten lagen insgesamt weit unter dem Niveau anderer europäischer Großstädte. Diejenigen, die »Österreich zuerst« und »Österreich den Österreichern« riefen, obwohl sie selbst oft slawischer Herkunft waren, fanden zwar weiter Zulauf. Aber es hatte für mich, von London kommend und an Gewalt auf den Straßen gewöhnt, nichts Bedrohliches.
    Für Wien war ich eigentlich gar nicht zuständig, oder höchstens am Rande. Dennoch machte ich meine ersten Recherchen in den Ausländervierteln von Wien, im 16., 17. und 20. Bezirk. Ich dachte mir, die Emigranten werden am besten wissen, wo die Probleme in ihrer Heimat liegen, und so könnte ich mir einen ersten Überblick verschaffen. Doch sie erzählten mir vor allem von den Problemen, die sie hier hatten. Kaum einer war bereit, vor der Kamera zu sprechen, am wenigsten die Frauen. Viele von ihnen waren selbst dann, wenn ihr Mann über gültige Papiere und eine Arbeitserlaubnis verfügte, ohne Aufenthaltsberechtigung. Manche hätten sie wahrscheinlich bekommen, aber sie mieden jeden Kontakt mit den Behörden, aus Angst, sie könnten festgenommen und in ihr Herkunftsland abgeschoben werden.
    Während zwischen Kroaten und Serben ein Waffenstillstand nach dem anderen in Kraft trat, unternahm ich Reisen nach Rumänien, Bulgarien, Polen und Albanien. Schließlich war ich für ganz Osteuropa zuständig. Ich fand bloß den Blickwinkel nicht, aus dem diese Länder für ein ETV-Publikum interessant sein könnten. Die ehemals kommunistischen Staaten siechten vor sich hin. Ich filmte die Armut. Ich sprach mit Menschen, die über den Mangel klagten, über die Politiker schimpften und die Neureichen eine »Mafia« nannten. Ach was, dachte ich, mein Sohn ernährt sich von Wurzeln und Schnecken. Ich filmte Neureiche, die die teuersten deutschen Limousinen fuhren und den Armen vorwarfen, sie seien zu träge, hätten keine Initiative und warteten nur darauf, daß der Staat sie füttere. Kommt mir bekannt vor, dachte ich. Wartet nur ab, was aus eurem Land wird, wenn ihr endlich euren Reagan und eure Thatcher habt. Ich filmte Politiker, die alle davon träumten, bald ein Teil Westeuropas zu sein. Es war geradezu rührend, wie sie die freie Marktwirtschaft lobten und gleichzeitig in die Kamera flehten, die reichen Staaten sollten ihnen endlich Geld geben.
    Meine ersten Dokumentationen über Osteuropa gehören zum Uninteressantesten, was ich jemals produziert habe. Nicht einmal ETV selbst wollte sie senden. Ich war froh, wenn wir zur deutschen Fassung, die wir selbst ausstrahlten, noch eine englische und, wenn es hochkam, eine französische oder italienische Fassung unterbrachten.
    Nach der Anerkennung des autonomen Staates Bosnien-Herzegowina durch die Europäische Gemeinschaft und die USA ging endlich der lang prophezeite Krieg in Bosnien los. Schlagartig war ich in meinem Element. Ich hatte mir, als die Drohgebärden der westlichen Staaten zunahmen, einen zusätzlichen Kanal in einem französischen Nachrichtensatelliten reserviert. Von der Pariser ETV-Zentrale war ich in letzter Zeit aber immer nachdrücklicher bedrängt worden, diesen Kanal aufzugeben, da die tägliche Miete für eine reine Wartezeit einfach zu hoch sei. Da die Pariser Generaldirektion damit drohte, die Kosten auf Wien abzuwälzen, stellte mir nun auch der hiesige Geschäftsführer nach.
    »Ich verstehe Euch ja«, sagte ich. »Aber mit Kriegen muß man Geduld haben. Lord Carrington hat aufgegeben. Im Zimbabwe-Konflikt Anfang der achtziger Jahre konnte er eine gute Figur machen, weil der Diktator Ian Smith ohnedies schon am Ende war. Aber dem Schlitzohr Karadzic war er nicht gewachsen. Lord Owen wird es nicht anders gehen.«
    »Das sind doch nur endlose Scharmützel. Wen interessiert das noch? Wenn nicht bald etwas Großes daraus wird, schließen wir den Kanal.«
    »Ich flehe euch an, wartet noch ein paar Wochen. Karadzic ist kein Politiker. Er ist ein Schriftsteller, der seinen Roman

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