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Opernball

Opernball

Titel: Opernball Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef Haslinger
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– auch hier ähnelte Thomas ganz meinem Großvater – war er durchaus großzügig. Bei 6:2, 6:2 leuchtete ihm ein, daß man einem Genie kein Brotlogo umhängen kann. Dennoch mußte ich Zugeständnisse machen. Als ich ihm versicherte, ich werde künftig darauf achten, daß Bilder an der Wand hängen oder sonstiges Verwertbares sich ansammelt, gönnte er mir ein Break. Der Sieg war ihm nicht zu nehmen, aber ich hatte mein Prinzip verteidigt.
    Noch gehörte die Fabrik mir. Ich konnte jedoch nicht verhindern, daß er als Juniorchef in meine Etage einzog. Ich haßte ihn, wenn er hinter meinem Rücken mit dem Prokuristen neue Abmachungen traf. Ihn interessierte nur das Geld. Das Betriebsklima war ihm einerlei. Wer nicht spurt, wird entlassen. Er wollte den Akkordlohn für Handsemmerl herabsetzen. Die von Hand geformten Semmeln waren unser einziges Produkt, das wir mit Verlust verkauften. Wir konnten den Preis nicht erhöhen, weil er von der Konkurrenz vorgegeben war, wir konnten das Produkt aber auch nicht vom Markt nehmen. In Wien gibt es dafür eine respektable Kundschaft. Die kauft prinzipiell nur in Bäckereien, in denen es Handsemmerl gibt. Daneben kauft sie freilich auch noch Kipferl, Salzstangerl, Brot, Topfengulatschen, Krapfen und so weiter, wodurch wir mit den Handsemmerlessern insgesamt ein sehr gutes Geschäft machen. Aber Thomas wollte mit allen Mitteln die Handsemmeln aus den roten Zahlen bringen, auch wenn das nur auf Kosten der Arbeiter gehen konnte. Ich unterstützte den Betriebsrat. Thomas hatte wieder einmal den Prokuristen überzeugt. Aber sie kamen nicht durch. Von da an waren Thomas und ich, geschäftlich gesprochen, Feinde. Und dann erhielt ich an einem Samstagnachmittag den Anruf aus Gmunden. Da stehst Du plötzlich sprachlos da. All diese Hickhacks, die wir ausgetragen haben, sind auf einmal lächerlich.
    Ohne Thomas wäre es nie zu dem Vertrag mit Jan Friedl gekommen. Ich hätte ihn einfach so finanziert. Jan Friedl hat seinen Aufstieg mir zu verdanken. Keine staatliche Stelle hätte es damals gewagt, einen Künstler zu unterstützen, dessen Diskussionsbeitrag bei einem öffentlichen Kunstgespräch darin bestand, aufs Podium zu scheißen. Jan Friedl wäre nicht der einzige Sechzigerjahre-Aktionist gewesen, der an Armut und Alkoholismus zugrunde ging. Ich hatte mit ihm, um das Problem endlich aus den Firmenbesprechungen raus zu haben, einen Kontrakt für zwanzig Jahre geschlossen. Damals besuchte ich Jan in seiner außerhalb Wiens gelegenen Scheune. Oft schlief er auch dort. Er arbeitete an merkwürdigen dreidimensionalen Bildern, aus denen benutzte Tampons und Binden heraushingen. Ich kaufte alles, was an der Wand hing oder herumstand. Jan Friedl war damals von der Kunstwelt ausgeschlossen. Man kannte ihn als Aktionisten, aber niemand wollte ihn bezahlen. Er galt als unberechenbar. Auch Aktionismus braucht einen Rahmen, in dem er Anerkennung findet. Aber Jan Friedl torpedierte alles, was nach einem geordneten Rahmen aussah. Seine Bilder und Objekte waren gänzlich unbekannt. Ich kaufte sie und lagerte sie ein. Im sechsten Jahr unseres Kontrakts hatte ich ihn so weit, daß er einer Ausstellung zustimmte. Denn natürlich litt er darunter, daß seine Werke keinerlei Öffentlichkeit hatten. Die Ausstellung hatte ich mit einer renommierten Galerie vereinbart. Sie fand großen Zuspruch. Jan Friedl hatte den Sprung geschafft. Was das Publikum nicht wußte: Keines der Bilder und Objekte war käuflich. Alle waren in meinem Besitz. Dennoch wurden Angebote eingeholt. Am Schluß der Ausstellung galten alle Objekte als verkauft.
    Unser Vertrag sah vor, daß jährlich mindestens ein Objekt dazukommen müsse, wenn es mehr wären, dann eben mehr. Aber alle mußten zuerst mir angeboten werden. So konnte ich verhindern, daß irgendeines auf den Markt kam.
    Natürlich würde er mich reinlegen. Das war mir von Anfang an klar. Welcher Künstler will sich schon mit Haut und Haaren verkaufen. Aber welcher Künstler hält es zwanzig Jahre aus, seine Werke nicht zu zeigen? So konnte ich hoffen, daß er mir erst gegen Ende der zwanzig Jahre bedeutende Werke vorenthalten würde. Tatsächlich hat er mich reingelegt. Aber, entgegen meinen Erwartungen, auf eine besonders niederträchtige Weise. Das wurde erst jetzt, nach seinem Tode, deutlich. Mein Anwalt läuft Sturm.
    Und ich habe Jans Lebensgefährtin, die nun gierig mit einem Testament und einem Falsifikat meines Kontrakts herumfuchtelt, auch noch alle

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