Opfer der Lust
verunglückt war. Konnte das ein Zufall sein? Es musste ein Zufall sein!
Schniefend sah sie ihrem Vater hinterher, der das Bad aufsuchte, um sich zu erleichtern. Die Chance musste sie nutzen.
Sie erhob sich und eilte auf leisen Sohlen zum Stuhl am Kopf des Esstischs. Ihr wurde schwindelig. Der Tod ihrer Mutter nahm sie sehr mit. Sie stützte sich auf dem Tisch ab, holte Mantis‘ Schlüsselbund langsam aus ihrer Hosentasche und steckte es in seine Jacke, die immer noch über der Stuhllehne hing.
Etwas raschelte. Neugierig griff Beth in die Innentasche und holte ein Blatt Papier heraus. Sie faltete es auseinander. Immer wieder linste sie zur Badezimmertür. Lazy beobachtete sie vom Sofa aus. Sie legte den Zeigefinger an ihre Lippen, als könne er diese Geste verstehen.
Bethany hielt einen Ausdruck in der Hand. Es handelte sich um ein Flugticket, das online gebucht worden war. Auf den Namen Michael Humphrey. Die gleichen Initialen, wie ihr Vater: M. H. Sie dachte mit Bestürzung an die ausgedruckte E-Mail, die sie bei Maternity Help gefunden hatte.
Entsetzt ließ sie sich auf den Stuhl fallen. Sie war wie vom Donner gerührt, denn sie hielt ein One-Way-Ticket nach Namibia in der Hand – für eine Person.
Als sie das Buchungsdatum sah, schlug sie ihre Hand vor den Mund. Der Flugschein war heute Mittag ausgestellt worden. Morgens hatte Blanche ihrem Mann das erste Mal seit Langem die Meinung gesagt.
Hatte ihr Vater vor, unter falschem Namen nach Afrika auszureisen? Wenn das wahr war, lag die Vermutung nah, dass er etwas mit dem Tod von Blanche zu tun hatte. Ein Unfall, der dem Unglück der Familie Velázquez ähnelte. Die spanische Familie war mit ihrem Wohnmobil ebenfalls von der Fahrbahn abgekommen, in einen Fluss gestürzt und dabei gestorben.
Die Gedanken stürzten auf Bethany ein und verursachten einen starken Kopfschmerz.
Aufgrund des Grauens, das von ihr Besitz nahm, hatte sie nicht gehört, wie ihr Vater aus dem Bad zurückgekehrt war. Er stand einige Schritte von ihr entfernt und stemmte die Hände in die Hüften. „Herumspionieren birgt eine gewisse Gefahr, Bethy …“
Das hatte Kade auch zu ihr gesagt. „Dein eigenmächtiges Handeln könnte lebensgefährlich sein.“ Sie hielt das Flugticket so fest in der Hand, dass es zerknüllte.
„… Wenn man dabei erwischt wird, muss man mit den Konsequenzen leben.“ In gespielter Verzweiflung schüttelte Mantis den Kopf. „Das hättest du nicht tun sollen. Was soll ich nur mit dir machen?“
„Was war los mit dir und Mom?“ Ihre Stimme klang brüchig.
Er zuckte mit den Schultern. „Ein Zusammenleben mit ihr war nicht mehr möglich.“
„Weil sie ihren eigenen Kopf entwickelt hatte?“
Mantis verzog seinen Mund zu einem spöttischen Grinsen. „Früher dachte ich, wenn ihr Kinderwunsch erst befriedigt ist, würde diese Tatsache uns auf ewig zusammenschweißen, aber es hat sich herausgestellt, dass dies ein Trugschluss war.“
„Und ich dachte immer, du liebst mich.“ Aufgebracht stand sie auf und warf das Ticket auf den Boden. Es brach ihr das Herz zu hören, dass sie die Ehe ihrer Eltern belastet hatte, aber ihre Wut überwog.
„Das tue ich, genauso wie ich Blanche geliebt habe.“ Sein Grinsen verschwand. „Doch am Ende ist sich jeder selbst der Nächste.“
„Ich war also ein Fluch und kein Segen, willst du das sagen?“
„Nur deine Geburt, Pumpkin.“
„Nenn mich nie wieder so!“, blaffte Beth. Die Zeit der Wahrheit war gekommen. Sie zitterte am ganzen Leib, als sie wissen wollte: „Ihr seid nicht meine leiblichen Eltern, habe ich recht? Mom hat mich nicht auf die Welt gebracht.“
„Dieser Kade …“, murrte Mantis. „Was hat er dir erzählt?“
„Gar nichts. Ich habe eigenhändig nachgeforscht.“ Anstatt ihm ihre Ergebnisse zu verraten, sagte sie nur einen Namen: „Ana Velázquez.“
Jegliche Farbe wich aus seinem Gesicht. Mürrisch starrte er ins Nichts, als würden vor seinem geistigen Auge Erinnerungen vorbeiziehen. Schließlich klärte sich sein Blick. Er zog seine Hose am Bund ein Stück höher und starrte Bethany an. „Zuerst dachte ich, Ana wäre das große Glück, unser Sechser im Lotto, doch der Gewinn war trügerisch.“
Sprach er von ihr? Konnte ihr Vater so herzlos sein und sie als Fehler betrachten? „Bin … bin ich …“, begann sie zögerlich und spürte, wie ihre Augen schon wieder feucht wurden. Sie räusperte sich und atmete einmal tief durch: „Bin ich Ana Velázquez?“
Es dauerte eine
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