Opfer der Lust
Augen gesehen und war nun, da sie davorstand, schwer beeindruckt, weil das Hotel durch überdachte Zugänge gleich mit zwei weiteren imposanten Gebäuden verbunden war: der Copley Place Mall und dem Hynes Convention Center.
Da sie vermutet hatte, dass der hoteleigene Parkplatz zu teuer für ihr Studentenbudget war, hatte sie ihren Pontiac vorsorglich am Christian Science Church Park abgestellt und war die Dalton Street hoch zum Hotel gestöckelt.
Sie hatte sich herausgeputzt, ein helles Etuikleid und hohe cremefarbene Schuhe angezogen, Abend-Make-up aufgelegt und ihre Haare hochgesteckt, und trotzdem kam sie sich in der prächtigen Lobby mit dem Marmorboden, den goldschimmernden Bilderrahmen und den gewaltigen Blumenbuketts deplatziert vor.
Beth gehörte nicht an diesen Ort. Sie war ein Eindringling, der sich Zugang zu einem Zimmer erschleichen wollte.
Empfangstheke reihte sich an Empfangstheke, sodass Beth gar nicht wusste, an welchen der vielen Mitarbeiter sie sich wenden musste.
Unsicher blickte sie sich um, sah Hinweisschilder auf den Swimmingpool inklusive Information, dass sein Glasdach geöffnet und geschlossen werden konnte, den hoteleigenen Starbucks Coffeeshop, die SideBar & Grill, die SideBar Lounge, das SideBar Restaurant, das Café Apropos, die Ballsäle und Konferenzräume … und war so erschlagen von den ganzen Eindrücken, dass sie wie angewurzelt im Eingang stehen blieb.
„Kann ich Ihnen helfen?“, rief ein gekünstelt lächelnder Rezeptionist, der hinter einer der Empfangstheken stand, mit einem französischen Akzent.
Seine Haare hatte er mit derart viel Gel an seine Kopfhaut geklebt, dass sie wie der Marmorboden glänzten. Er strich mit den Fingerspitzen über seinen gestärkten weißen Hemdkragen und richtete seine gelbe Krawatte, dabei gab es nichts zu richten, denn seine gesamte Erscheinung war äußerst akkurat.
Als Bethany zu ihm ging und die Arme auf die Theke legte, bemerkte sie das Namensschild auf der Brusttasche seines blauen Jacketts. Es wies ihn als Serge Clémence aus.
„Mister Clemens –“
„Clémence“, korrigierte er sie höflich. „Aber bitte nennen Sie mich Serge.“
„Sind Sie Frankokanadier?“ Es interessierte Bethany nicht wirklich, denn eigentlich war sie viel zu nervös, um Konversation zu machen. Doch sie wusste, dass vorgeheucheltes Interesse Sympathien einbrachte.
„Non, Madame, ich bin Belgier und justement vor einer Woche in Boston eingetroffen.“ Er neigte sich ein wenig vor und sprach verschwörerisch, als würde er ihr ein Geheimnis verraten: „Ich habe für das Four Points by Sheraton Brussels gearbeitet und einen Versetzungsantrag innerhalb der Starwood-Hotelgruppe gestellt. Niemand war mehr überrascht als ich, dass er tatsächlich angenommen und ich in die USA versetzt wurde.“
Er richtete sich wieder auf und machte eine ausladende Geste. „Et voilà, nun bin ich hier, für ein ganzes Jahr.“
„Das freut mich für Sie, Serge.“ Beth quälte sich ein Lächeln hervor. „Herzlich willkommen in Massachusetts.“
„Merci, was kann ich für Sie tun?“
Beth blickte beiläufig auf die große Uhr, die über dem Empfang hing. So charmant sie den Empfangsmitarbeiter auch fand, er raubte ihr die Zeit.
Es war zwanzig nach zwei, Kade würde voraussichtlich in vierzig Minuten eintreffen. Sie musste sich beeilen, damit er sie nicht dabei erwischte, wie sie die Blondine – die bestimmt früher eintraf, um vor seiner Ankunft zu duschen und ihr Negligé anzuziehen – zur Rede stellten. Sie hatte keinen blassen Schimmer, was bei ihrem Zusammentreffen geschehen würde, doch sie war gewappnet. Zumindest redete sie sich das ein.
Was machte sie hier eigentlich? Bethany hielt sich selbst für völlig verrückt! Aber sie musste das durchziehen und vielleicht erfuhr sie etwas über die Person, die Kade war, wenn er nicht mit ihr zusammen war.
Denn seit der suspekten Szene zwischen der Kellnerin und Kade in ‚Kassandra‘s Kitchen‘ hatte sie ein ungutes Gefühl in ihrer Magengegend.
Etwas stimmte nicht, und sie musste herausfinden, was.
Kannten sich die beiden eventuell schon länger?
Bethany fasste sich ein Herz und sagte: „Mein Ehemann hat ein Zimmer für uns reserviert. Wären Sie wohl so freundlich und würden mir den Schlüssel für 948 geben? Ich möchte mich ein wenig zurechtmachen und ihn überraschen.“ Sie zwinkerte.
„Würden Sie mir bitte Ihren Namen sagen?“, bat Serge und drehte den Bildschirm seines Computers ein Stück
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