Opfer der Lust
Möglicherweise war Kade einfach nur ein schwieriger Gast, der hundertprozentige Privatsphäre verlangte. Das würde zu ihm passen.
Beth fiel eine andere Ausrede ein. „Ich wollte ihn überraschen.“
„Er hasst Überraschungen.“
„Sie scheinen ihn gut zu kennen“, meinte sie scharfzüngig und wischte ihre feuchten Handflächen an ihrem Etuikleid ab, das ihr auf einmal viel enger erschien als noch wenige Minuten zuvor.
„Ziemlich gut sogar.“ In seiner Stimme schwang Genugtuung mit, als wäre er sich seiner Überlegenheit sehr bewusst.
Konnte Kade ein Stammgast sein? Welche Rolle spielte die Kellnerin, die offensichtlich das Zimmer gebucht hatte? Das alles passte nicht zusammen. Beth ärgerte sich, weil ihr zu viele Puzzleteile fehlten, um sich ein Bild von dem machen zu können, was hier vor sich ging.
Bradcock räusperte sich, um Beths Aufmerksamkeit zu erlangen. „Möchten Sie ein Glas Wasser?“
Dankbar nickte sie, auch wenn er ihr nur etwas anbot, um sich bei ihr einzuschmeicheln. Mit der gleichen falschen Freundlichkeit sagte sie: „Danke, Zachary.“
Der Hotelmanager stand auf, ging zum Sideboard, auf dem zwei Halbliterflaschen Ice Mountain Mineralwasser und Gläser standen. Er öffnete eine der Plastikflaschen, goss ein Glas halb voll und kam zu Beth. Nachdem er ihr das Glas gereicht hatte, stellte er die Flasche mit dem restlichen Wasser auf den Tisch vor ihr.
McCormick fragte er nicht.
„Was wollen Sie von unserem Gast, Miss Hart?“ Der General Manager nahm auf dem Stuhl neben ihr Platz und Beth kannte den Grund: Er wollte wie ihr Verbündeter wirken.
Sie trank einen Schluck und gab sich höflich, aber kühl. „Mit ihm sprechen, mehr nicht. Wie Sie sehen, trage ich weder eine Waffe in meiner Handtasche noch eine Bombe am Körper.“ Das enge Kleid ließ keinen Zweifel aufkommen.
„Worüber möchten Sie mit ihm reden?“
Bethany wollte unter keinen Umständen die Kellnerin erwähnen, um ihre wahren Beweggründe für sich zu behalten und nicht als krankhaft eifersüchtig dazustehen. Das wäre ihr peinlich gewesen.
Einen kurzen Moment dachte sie darüber nach, den beiden Männern zu gestehen, dass sie von Kade erpresst wurde, damit sie ihn festhielten und die Polizei riefen, aber sie verwarf den Gedanken sogleich. Sie brachte es nicht übers Herz, Kade ans Messer zu liefern, dafür hatte sie ihn bereits zu lieb gewonnen. Außerdem befürchtete sie, dass die Situation eskalieren könnte.
Daher entgegnete sie: „Das geht nur uns beide etwas an.“
McCormick nahm die Wasserflasche und füllte ihr Glas auf. „Sie haben Serge Clémence belogen, nicht wahr? Sie sind nicht verheiratet, erst recht nicht mit dem Gast aus 948.“
„Nein“, gab sie zu und fragte sich, weshalb die Männer ein Geheimnis um den Namen des Zimmergasts machten und ihn nie aussprachen. „Aber ich bin mit ihm befreundet.“
„Dann haben Sie sicher nichts dagegen, wenn wir ihn jetzt von Ihrer Anwesenheit in Kenntnis setzen.“ Gierig trank er die Ice-Mountain-Flasche leer, ohne sie ein einziges Mal abzusetzen, und warf sie in den Papierkorb, der neben dem Schreibtisch stand.
Bradcock stand kopfschüttelnd auf, holte die Plastikflasche aus dem Mülleimer und stellte sie zurück aufs Sideboard. „Wir sind ein fortschrittliches amerikanisches Hotel und recyceln.“
Wieder einmal war Beth verwundert. Vaughn McCormick musste als Angestellter doch die Regeln kennen. Oder war er genauso neu im Sheraton Boston wie Serge Clémence? Vielleicht war er auch Mitarbeiter einer externen Sicherheitsfirma, die das Hotel engagiert hatte, weil Outsourcing kostengünstiger war als ein eigenes Securityteam zu unterhalten.
Oder Kade persönlich hatte ihn angeworben.
„Natürlich nicht“, beantwortete Beth kleinlaut McCormicks Frage und wurde immer nervöser. Sie wollte wissen, ob der Gast im Zimmer 948 tatsächlich Kade war, doch sie scheute die Gegenüberstellung.
„Er ist Ihr Mann.“ Bradcock baute sich breitbeinig vor McCormick auf und verschränkte die Arme vor dem Oberkörper. „Holen Sie ihn.“
McCormick nickte und verließ das Büro, während der General Manager Beth bewachte.
Tausend Gedanken schossen ihr durch den Kopf.
Alle in diesem Hotel verhielten sich, als wäre Kade der Kaiser von China. Selbstverständlich musste ein erstklassiges Hotel wie das Sheraton seinen Gästen Diskretion garantieren, aber dieses Verhör war absolut überspitzt.
Zudem hatten Beth das Gefühl, dass sie und die beiden Männer
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