Opfer
ändern.«
»Keine Ahnung«, erwiderte Debbie. »Hab nur kein gutes Gefühl dabei.«
*
Als sie am Nachmittag auf dem Heimweg eine Pause in der Teestube des Norfolk Kitchens in der Nähe von Darrens Haus machten, wurde Debbie schlecht. Nach einem Schluck Tee war ihr übel, also schob sie die Tasse zurück über den Tisch und konzentrierte sich lieber aufs Gespräch.
In weniger als einem Monat war das Schuljahr vorbei. Julian würde dann aufs Sixth Form College gehen und die A-Levels machen. Darren hatte am Ernemouth Art College einen Platz in BTEC Graphics bekommen und Debbie selbst einen für General Art and Design. Alex war doch noch bei St Martin’s angenommen worden, und Corrine hatte dank des YTS-Programms ihren Ausbildungsplatz beim Friseur bekommen.
Im Moment hatte Darren aber nur Musik im Kopf, insbesondere das York Rock Festival Ende des Sommers. Sie wollten das Geld aus ihren Ferienjobs dafür ansparen und dann als erstes gemeinsames Abenteuer dorthin fahren. Die Bunnymen, die Sisters und Spear of Destiny – alle ihre Lieblingsbands würden dort auftreten.
Während sie sich unterhielten, spielten Corrine und Julian ein Spiel: Sie kippte ihm aus einer Tüte in der Faust immer wieder Zucker in die Tasse, wenn er nicht guckte, und er schnippte ihr immer heimlich Schaum von seinem Kaffee an den Hinterkopf. Beide taten so, als würden sie nichts merken, aber das würde nicht lange so weitergehen.
Debbie kam ihre Tasse kalt vor, und schon beim Gedanken an Tee drehte sich ihr der Magen um. Sie stand auf, und gleichzeitig knallte Julian seine Tasse auf den Tisch und brüllte: »Ey, du Sau, was hast du mit meinem Kaffee gemacht?«
»Iiieeh!«, kreischte Corrine und fuhr sich über den Hinterkopf. »Was hast du mit meinen Haaren gemacht?« Julian kriegte eine Handvoll Zucker ins Gesicht.
Debbie sprang auf, bevor er zum Gegenschlag ausholte, und schaffte es gerade noch rechtzeitig aufs Klo. Ihr war, als würde ihr ein Pferd in den Magen treten. Oder als ob sie vergiftet worden wäre.
*
Der Stapel Klausuren war endlich fertig korrigiert, und Mr Pearson legte den roten Stift weg. Er stand auf, gähnte und streckte sich. Die Wanduhr zeigte halb sechs, und er lächelte zufrieden, als er die Hefte in die untere Schreibtischschublade legte.
Er ging durch den Flur und freute sich aufs Wochenende. Jetzt würde er seine Tochter vom Bahnhof abholen und mit ihr direkt zum Restaurant seiner Frau an der Promenade fahren. So verbrachten sie ihre Freitagnachmittage am liebsten. Frannie musste lange Fahrtzeiten in Kauf nehmen, aber sie entwickelte sich prächtig, seit sie im September auf die Prep School in Norwich gekommen war. Vielleicht war es ein bisschen scheinheilig, aber er wollte nicht, dass seine Tochter die Schule besuchte, an der er unterrichtete. Sie sollte nicht gemobbt werden. Hier konnte sie auf wirklich schlimme Zeitgenossen treffen …
Als er hinter der Bibliothek um die Ecke gebogen war, blieb er abrupt stehen. Ein paar Meter vor ihm stand Samantha Lamb und bemalte mit schwarzem Edding ein Bild aus der Ausstellung der elften Klassen. Sie war so konzentriert am Werk, dass sie ihren Klassenlehrer erst bemerkte, als er direkt hinter ihr stand.
»Was machst du da?«, fragte Mr Pearson.
*
Corrine hämmerte mit einer Hand an Debbies Haustür und stützte mit der anderen ihre Freundin. »Mrs Carver!«, brüllte sie.
Debbie stand wankend neben ihr und kämpfte gegen eine erneute Welle der Übelkeit an.
»Wird alles gut«, versicherte Corrine ihr. »Du bist jetzt zu Hause.«
*
»Das verstehe ich absolut, Mr Hill«, sagte Amanda. »Nein, ich muss mich entschuldigen. Ich hatte dummerweise gedacht, sie würde an meiner alten Schule etwas lernen.«
Der Direktor stand vor ihrer Haustür und hatte einen Augenblick lang die junge Amanda Hoyle vor Augen: Haare wie Crystal Tipps, Plateauschuhe und ein strahlendes Lächeln, das irgendwann um ihren fünfzehnten Geburtstag herum plötzlich erlosch.
»Nehmen Sie es sich nicht zu sehr zu Herzen«, sagte er. »Das ist sicher nur eine Phase.«
Er schaute Amanda so mitfühlend und verständnisvoll an, wie sie es von ihm nie erwartet hätte. Es war, als hätte der alte Mann ihr direkt in die Seele geschaut, und sie musste sich am Türrahmen festhalten, damit sie nicht das Gleichgewicht verlor.
»Tja«, flüsterte sie, »danke, dass Sie sie nach Hause gebracht haben.«
Mr Hill setzte seinen Hut wieder auf. »Schönen Abend noch, Amanda.«
Amanda schloss die Augen,
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