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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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atmete tief durch und sammelte sich einen Moment. Als sie sie wieder öffnete, sah sie rot.
    »Samantha!«, schrie sie. Sie rannte nach oben, wo die Musik immer lauter wurde, und versuchte, die Tür aufzustoßen.
    Das hatte Sam wohl erwartet, denn sie stemmte sich von innen dagegen. Die Tür öffnete sich einen Spalt weit und schlug dann mit einer Wucht wieder zu, dass der Plattenspieler erschüttert wurde und die Nadel übers Vinyl kratzte.
    Amanda hämmerte an die Tür. »Lass mich rein!«, brüllte sie.
    »Nein!«, kreischte Samantha zurück. »Ich will nicht mit dir reden! Ich will nicht hören, was du zu sagen hast!«
    »Ich dachte, du bist nicht feige, Sam«, rief Amanda. »Und jetzt versteckst du dich da drinnen? Genau wie in der Schule, was? Du schleichst feige hinter dem Rücken der anderen herum!«
    Amanda spürte einen Schub übermenschlicher Kraft undstemmte sich noch einmal gegen die Tür, die diesmal nachgab und Sam quer durchs Zimmer schleuderte. Amanda marschierte hinein, schaltete den Plattenspieler ab und baute sich über ihrer Tochter auf. »Jetzt hör mir mal zu.«
    »Lass mich!«, schrie Sam, und krabbelte von ihr weg. »Fass mich nicht an!«
    »Du fieser kleiner Feigling!« Amandas Augen funkelten, und in eisigem Ton flüsterte sie. »Ich weiß gar nicht, warum ich mir überhaupt so eine Mühe mit dir gegeben habe.«
    »Ich auch nicht«, zischte Sam zurück. »Du wolltest mich nie, das hast du mir von Anfang an gezeigt. Du hast mich schon immer gehasst. Musstest du mich deshalb immer allen wegnehmen, die mich lieben? Erst Dad und jetzt Oma und Opa? Warum durfte ich nicht bei denen bleiben, hä? Warum konntest du mich nicht da lassen, wo ich glücklich war? Warum willst du mich immer leiden sehen?« Ihre Stimme gab nach und Tränen des Selbstmitleids traten ihr in die Augen.
    »Leiden?«, fragte Amanda. »Du weißt doch gar nicht, was das ist. Ich hab dich geschützt, dumm wie ich war.«»Was?« Sam schluckte entrüstet. »Mich vor dem Vater geschützt, der mich geliebt hat? Mich vor meinem Zuhause und allen meinen Freunden geschützt und mich hierher geschleift? In dieses Dreckloch, wo ich dir und deinem dummen, peinlichen Wayne den ganzen Tag zugucken kann, wie ihr einander abschlabbert? Wo ich dem« – sie zeigte Amanda auf den Bauch, und ihre Stimme überschlug sich hysterisch – »dem Ding da zugucken kann, wie es langsam meinen Platz einnimmt, bloß dass ihr es liebt und mich immer gehasst habt?«
    Sam sprang auf und nahm ihre Schultasche in die Hand. »Wenn du das unter Schutz verstehst, Mutter, dann schlag ich mich lieber auf der Straße durch. Ich geh zurück zu Dad. Ich scheiß drauf, was du sagst. Er liebt mich und du nicht. Er kümmert sich um mich. Im Gegensatz zu dir, beschützt er mich wirklich. Hier ist es scheiße, und ich hasse dich!«
    Samantha merkte, wie bei ihr eine Sicherung durchbrannte.Sie stellte sich Sam in den Weg und vergrub die Fingernägel so tief im Arm ihrer Tochter, dass sich ihre Wut in Sams vor Schmerz geweiteten Pupillen widerspiegelte.
    »Wenn ich dich bei ihm gelassen hätte«, sagte sie und wunderte sich selbst, wie ruhig sie sich anhörte, »hättest du einen Alkoholiker babysitten und dabei zusehen können, wie dir das Haus, die Schule und alles andere Stück für Stück weggenommen wird. Malcolm ist pleite, Sam. Davor wollte ich dich auch schützen, aber die Wahrheit kommt ja doch raus. Da ist nichts mehr, wohin du zurückgehen könntest. Geh meinetwegen nachsehen, wenn du es mir nicht glaubst.«
    Sam starrte sie ungläubig an. »Du drehst dir immer alles hin, wie es dir passt«, zischte sie und wand sich gegen Amandas Griff. »Du würdest mir alles erzählen, damit du gut dastehst und alle anderen die Bösen sind.«
    »Und außerdem«, setzte Amanda fort, weil sie wusste, dass sie jetzt nicht aufhören konnte, weil sie ohnehin mit Vollgas auf die Klippe zuraste, »konnte ich dich aus gutem Grund nicht bei deinen lieben Großeltern lassen. Jetzt bist du in dem Alter, auf das er steht. Da bist du nicht mehr sicher. Sie hätte dich nicht beschützt, und ich hab gesehen, wie er dich jetzt anguckt. Genau wie mich damals.«
    Sam hielt still. Sie starrte Amanda mit offenem Mund an. »Was soll das heißen?«, hauchte sie.
    »Den ganzen Aufwand, den ich wegen dir betrieben hab, alles umsonst. Ich dachte, du wärst mein unschuldiges Baby.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber der Apfel fällt nicht weit vom Stamm …«
    »Was soll das heißen?« Aus Samanthas

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