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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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den Abend auf dem Friedhof denken.
    Nicht umsehen, bloß nicht umsehen .
    Sie hatte den Zauber gebrochen. Oder schlimmer, sie hatte ihn umgekehrt. Das musste es sein, dachte sie beim Fegen. Darauf deutete alles hin. Dass Debbie gestern krank geworden war, war erst der Anfang. Dann war das Buch verschwunden … Oder geklaut worden … Aus ihrer Tasche genommen …
    Corrine hob das Kehrblech und mit ihm ihren Blick. Als sie aus dem Fenster schaute, ließ sie es fast wieder fallen.
    Draußen stand Sam. Sie sah nicht so ordentlich und gepflegt aus wie sonst – ganz im Gegenteil. Ihr Gesicht war dreckverschmiert, ihre Haare wirr und zottelig, und an einem Knie hatte sie eine große Schürfwunde, als wäre sie hingefallen. Aber am meisten schockierte Corrine etwas, von dem sie den Blick nicht abwenden konnte: Sams krankes, triumphierendes Grinsen, als sie ein großes, schwarzes Buch hochhielt.

35
    DER KLEINE UNTERSCHIED
    März 2003
    Sandra Gray saß auf dem Wohnzimmersofa und sah, wie im Schuppen ihres Mannes hinten im Garten, wo er seine alten Polizeisachen aufbewahrte, endlich das Licht ausging. Er war den ganzen Nachmittag dort drin gewesen, hatte gesagt, er müsse für den Privatdetektiv etwas heraussuchen, bevor er ihr mehr erzählen konnte.
    Sandra hatte sich vor dem Fernseher ablenken wollen, hatte das Essen vorbereitet, das jetzt im Ofen schmorte, und hatte sich eingeredet, dass alles wie immer war. Aber so hatte sie ihren Mann seit fast zwanzig Jahren nicht mehr erlebt. Paul hatte wegen dieses Falls schon einmal einen Zusammenbruch erlitten. Sie wusste nicht, was sie machen würde, wenn so etwas wieder passierte.
    Das Licht auf der Terrasse ging an, und sie konnte sehen, wie er den Gartenweg heraufkam. Sein Gesicht sah ernst und entschlossen aus. Er hatte ein Buch in der Hand.

    *
    »Leisure Beach?«, fragte Francesca.
    »Genau«, erwiderte Rivett. »Fahren Sie hier rein, der Wachmann winkt uns durch.«
    Sie runzelte die Stirn, als sie bremste und auf die Uhr am Armaturenbrett schaute. Es war gleich zehn nach sieben. Ihre anfängliche Panik legte sich langsam, und sie dachte konzentrierter nach.
    Die Dokumente von Ross waren sicher schon angekommen. Wahrscheinlich hielt ihr Dad das Fax gerade in der Hand und erklärte Sean am Telefon die Geschäftsbeziehungen von Rivett und Smollet, die ihr Exmann für sie aufgespürt hatte. Hatten die etwas mit dem alten Vergnügungspark zu tun? Was für einen anderen Grund konnte Rivett haben, sie hierher zu schleifen?
    An der Einfahrt stand ein Wachhäuschen, und als der kurzgeschorene junge Mann darin Rivett sah, lächelte er und machte tatsächlich sofort die Schranke auf und winkte sie auf den Parkplatz.
    »Sie fragen sich, warum wir hierherkommen, was?«, fragte Rivett.
    Francesca stellte den Motor ab und ließ sich nicht anmerken, dass ihr Verstand einen anderen Gang einlegte. Vielleicht wusste der alte DCI doch nicht ganz so viel, wie sie angenommen hatte.
    »Machen Sie sich über mich lustig, Mr Rivett?«, fragte sie und starrte ihn an. »Wenn DCI Smollet mir kein Interview geben will, muss er das nur sagen. Sie müssen nicht so einen Riesenaufwand betreiben, nur um mich abzuwimmeln.«
    Rivett lachte leise und schüttelte den Kopf. »Nein, Mädchen, da verstehen Sie mich ganz falsch«, sagte er. »Vielleicht sieht man es nicht auf den ersten Blick, aber dieser Park gehört zu einem wichtigen Teil seiner Lebensgeschichte. Hier fing alles an, könnte man sagen.«
    Er öffnete die Tür und stemmte sich aus dem Wagen. Brutale Stiche fuhren ihm durch die Knie, als er aufstand, und er musste sich kurz am Wagen abstützen, damit sie ihm die Schmerzen nicht anmerkte. Alter Scheißkörper , fluchte Rivett innerlich. Lass mich jetzt nicht im Stich .
    Francesca stieg aus und sah sich nach dem Wachmann um, der sich wieder hingesetzt hatte und die Sportseiten eines Boulevardblatts las. Sie schloss den Wagen ab und steckte den Schlüssel in die Jackentasche, wo er griffbereit war.
    »Hier geht’s lang«, sagte Rivett, fasste sie am Ellenbogen und führte sie auf den Eingang zu. Francesca hatte alle Mühe, bei seiner Berührung nicht zusammenzuzucken, und krallte die Finger um den Schlüssel. Hinter dem einzelnen Scheinwerfer, der den Parkplatz beleuchtete, erhoben sich das Stahlskelett der Wildwasserbahn, die Buckel und Senken der alten Holzachterbahn und die stillen Kreise des ruhenden Riesenrads und des Rock-a-Plane. Plötzlich erschien es Francesca völlig logisch, dass es

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