Opfer
Tatortfotos gesehen. Auf dem Boden war ein Pentagramm, gemalt mit dem Blut des Opfers. Sie wollen mir doch wohl nicht sagen, dass Rivett sich das ausgedacht hat?«
Und sie: »Sie haben keine Ahnung, wozu dieser Mann fähig ist …«
»Wo sind Sie denn gerade?«, fragte Mathers.
»Ich treffe mich gleich mit Rivett in seinem so genannten Büro. In der Freimaurerloge von Ernemouth«, erklärte Sean.
»Seien Sie vorsichtig mit ihm«, bat Mathers. »Lassen Sie ihn nichts von diesen Neuigkeiten wissen. Das ist sein Territorium, und er könnte vielleicht gefährlich werden. Seien Sie freundlich, geben Sie sich naiv – schinden Sie Zeit, während ich mir überlege, was wir machen, Mr Ward. Ich will nicht, dass Sie zu Schaden kommen.«
»Das brauchen Sie mir nicht zu sagen«, erwiderte Sean und spürte einen Stich im Knie, als er daran dachte, in welcher Gefahr Francesca war.
»Okay«, sagte Mathers. »Rufen Sie mich zurück, sobald Sie können.«
Sean legte auf und betrat die Loge. Der adrette kleine Mann an der Rezeption lächelte ihn freundlich an.
»Ich würde gern Len Rivett sprechen«, sagte Sean.
»Tut mir leid«, erwiderte der Mann. »Mr Rivett ist vor ungefähr fünf Minuten gegangen.«
Sean schüttelte den Kopf. »Kann nicht sein. Sein Wagen steht noch da.«
»Das stimmt«, der Mann lächelte unbeirrt und griff in ein Fach in seinem Tisch. »Den Schlüssel hat er bei mir gelassen.« Er hielt ihn Sean vor die Nase. »Das macht er oft, wenn …« Er schaute an Sean vorbei und verzog das Gesicht. »Oh Gott. Was ist das denn?«
Noj stand mit gehetztem Gesichtsausdruck vor der Tür und wedelte mit ihrem Handy.
»Nichts«, erwiderte Sean. »Ich kümmer mich drum.«
Er lief nach draußen.
»Sie sind nicht hier!«, schrie Noj.
»Hab ich auch gehört«, erwiderte Sean. »Ich dachte, Ihr Bekannter behält die beiden im Auge.«
»Der hat eben angerufen. Sie sind vor zwei, drei Minuten mit ihrem Auto weggefahren.« Ihre Augen blitzten vor Aufregung. »Sie fahren die Promenade runter. Da lang.« Sie zeigte nach links, in Richtung Britannic Pier. »Los!«
*
»Wie halten Sie es eigentlich in so ’nem Schuhkarton aus?«, fragte Rivett, während sie in Francescas Micra die Promenade entlangfuhren. »Man weiß ja gar nicht, wo man mit den Beinen hin soll.« Wieder spürte er einen Stich im Knie, die Arthritis meldete sich im ungeeignetsten Augenblick.
Francesca starrte auf die Straße. »Ich hätte Ihnen auch hinterherfahren können«, sagte sie. »Ich wär schon nicht durchgebrannt.«
Rivett lachte. »Ach? Den Eindruck hatte ich aber nicht gerade. Das Risiko kann ich nicht eingehen – hier geht’s ja immerhin um den Polizeichef. Wir sind auch schon fast da. Gott sei Dank!«
»Könnten Sie mir vielleicht verraten, wo es überhaupt hingeht?« Mittlerweile war sie eher genervt als ängstlich.
»In den Garten der Lüste«, antwortete Rivett. »Wo der Spaß nie endet und die Sonne nie untergeht.« Vor ihnen erhoben sich die dunklen Türme des verlassenen Leisure Beach. »Sie können jetzt blinken«, sagte Rivett.
34
SCHWARZ UND WEIß
Juni 1984
»Kannst du sehen, was sie da macht?«, fragte Debbie halblaut und nickte in Richtung des anderen Flurendes, wo Samantha wie die restlichen Kunstschüler des elften Jahrgangs ihre Meisterwerke zur Abschlussbewertung aufhängte.
Darren stand oben auf der Leiter und brachte sein Lieblingsbild an. Ein langer, blauer Horizont am Meer, im Vordergrund die Rücken von vier Gestalten in Schwarz, die in die Ferne starren, wo gerade ein Möwenschwarm abhebt. Der alte Witchell war ziemlich beeindruckt gewesen und hatte gesagt, es stehe in der besten Aquarelltradition von East Anglia. Er hatte nicht gemerkt, dass Darren einfach das Cover seiner Lieblingsplatte abgemalt hatte. Naj a, mittlerweile seiner Zweitlieblingsplatte. Im Laufe des letzten Monats hatte Darren die Rillen des neuen Albums der Bunnymen ziemlich abgenutzt.
Er drehte den Kopf und lehnte sich vor. Samantha kniete über ihre offene Zeichenmappe gebeugt auf dem Boden. Ihre langen Haare schützten ihr Werk vor neugierigen Blicken.
»Gerade macht sie nicht viel«, sagte er. »Hat noch kein einziges Bild aufgehängt.«
Er stieg langsam die Leiter hinunter. Debbie wirkte besorgt. »Das gefällt mir nicht«, flüsterte sie. »Die wartet, bis wir fertig sind.«
Darren sprang neben ihr auf den Boden. »Und was soll sie dann machen?«, fragte er. »Wir sind doch schon im Art College aufgenommen, da kann sie nichts dran
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