Opfer
Mutter durch den Hörer. »Er ist nicht da, und ich weiß nicht, wo er ist. Und auch nicht, wann er wiederkommt.«
Corrine hörte im Hintergrund eine Männerstimme. Nojs Vater , dachte sie. Auf Landgang von der Ölplattform. Kein Wunder, dass Noj weg war. Mr Kenyon nahm seiner Frau den Hörer ab.
»Wenn du die kleine Schwuchtel findest, kannst du sie behalten«, sagte er und legte auf.
Corrine verließ die Telefonzelle. Ohne Noj wusste sie einfach nicht, was sie machen sollte.
Sie sah auf die Uhr am Market Square. Viertel vor sieben. Ihr tat der Bauch weh vor Hunger, und sie ging unwillkürlich auf den Fish-and-Chips-Stand zu. Sie hatte keine Ahnung, was sie sagen oder tun würde, wenn sie Sam traf. Aber immerhin musste sie es nicht auf leeren Magen tun.
Als sie sich Essig über ihre Portion träufelte, hörte sie neben sich eine Stimme. »Corrine, alles klar?«
»Darren!« Sie fuhr herum und verspürte plötzlich ein Fünkchen Hoffnung.
»Kommst du gerade von der Arbeit?«, fragte er und nahm seine Tüte Pommes.
»Ja. Und, was machst du gerade?«, erwiderte Corrine.
»Nicht viel.« Er nahm ihr den Essig ab. »Debbie liegt noch flach.«
»Debbie!« Corrine klappte die Kinnlade herunter. Sie hatte fast vergessen, wie schlecht es ihrer Freundin ging.
»Keine Sorge«, sagte Darren. »Ist nicht mehr schlimm. Sie kann nur noch nicht rauskommen. Ich hab ihr gerade ein paar Musikzeitschriften gebracht, um sie aufzuheitern.«
»Oh«, sagte Corrine und reichte ihm das Salz. »Hört sich gut an.« Sie steckte sich die erste Pommes in den Mund. »Triffst du dich heute gar nicht mit Jules?«
»Nee«, erwiderte Darren. »Der ist mit Alex in Norwich.« Er zog die Augenbrauen hoch und stellte das Salz wieder auf den Tresen. »Mach’ mir heute wohl ’nen ruhigen Abend.«
»Könntest du mir vielleicht helfen, Darren?« Corrine kaute mit offenem Mund, wirkte aber todernst. »Die verdammte Samantha Lamb hat mich wieder in die Scheiße geritten.«
*
Während sie zum Meer gingen, versuchte Corrine, alles zu erklären. »Ich glaub, wegen der bin ich jetzt meinen Job los«, sagte sie.
»Nee.« Darren schüttelte den Kopf. »Deine Chefin mag dich doch, oder? Die wirft dich doch nicht wegen dem einen Ausrutscher raus.«
»Die hat mich richtig angeschrien«, protestierte Corrine. »Vor allen Leuten.«
»Tja, für sie war das Ganze wohl auch nicht gerade toll«, sagte Darren. »Alle ihre Kunden haben gesehen, wie du dich prügelst. Außerdem wusste sie ja nicht, was wirklich los war.«
Corrine bekam plötzlich ein schlechtes Gewissen, als sie an ihr letztes Gespräch mit Lizzy dachte. »Nein«, erwiderte sie, »eher nicht. Scheiße, Darren, ich bin richtig ausgeflippt. Das hätt’ nicht passieren dürfen, oder?«
»Mach dir keine Gedanken«, beschwichtigte Darren. »Morgen sieht das alles schon anders aus. Du sagst, dass es dir leidtut, und dann entschuldigt sie sich bestimmt auch.«
»Verdammte Samantha Lamb!« Corrine zerknüllte ihre leere Pommestüte und stellte sich vor, sie wäre Samanthas Hals. »Warum lässt die mich nicht einfach in Ruhe?«
Darren zuckte mit den Schultern. »Ich weiß auch nicht, was sie für ein Problem hat. Du musst aber auch gar nicht mit ihrreden, Reenie. Du kannst einfach draußen warten, und ich hol dir dein Buch zurück. Das erwartet sie ja wohl nicht.«
»Oh, danke, Darren!« Corrine hakte sich bei ihm ein, als sie links auf die Marine Parade abbogen und Richtung North Denes gingen. »Dafür hast du was gut bei mir.«
»Ach, Quatsch«, erwiderte Darren. Er lächelte und nickte. »Ich wollt’ der blöden Kuh immer schon mal eins auswischen für all den Ärger, den sie Debs gemacht hat.«
*
Die Touristen gingen jetzt zum Abendessen, nur ein paar Nachzügler bauten noch ihren Windschutz ab oder sammelten ihre Picknicksachen ein. Eine Mutter planschte noch in der Ferne mit zwei Kleinkindern im flachen Wasser, und das Meer funkelte wie tausend Diamanten.
»Sieht toll aus heute, oder?«, sagte Darren.
»Ja«, erwiderte Corrine. Der Anblick der beiden kleinen Kinder verpasste ihr einen Stich ins Herz, weil sie nie mit ihrer Mutter geplanscht hatte. Sie fragte sich, ob sie vielleicht selbst mal eine Tochter haben würde, mit der sie so etwas erleben könnte.
»Wollt ihr eigentlich Kinder?«, fragte sie unwillkürlich.
Darren hatte noch nie darüber nachgedacht. »Glaub schon. Irgendwann mal.«
»Meinst du, ihr zieht auch weg, so wie Alex?« Corrine wurde diese Möglichkeit zum
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