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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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Horizont. Im weichen Strand sah er Spuren, die die Düne hinab zum Bunker führten. In der Ferne hörte er etwas summen wie den Motor eines 50er-Rollers. Das Geräusch wurde lauter, je näher er dem alten Betonklotz kam.
    Gray blinzelte, als er den Bunker betrat. Seine Pupillen weiteten sich schlagartig, passten sich dem Zwielicht an. Das Geräusch war jetzt sehr laut, aber nicht das Erste, was ihm einen Schlag versetzte. Es war der Geruch, der unverwechselbare Eisen-und-Eingeweide-Gestank des Todes – der fast greifbar in einer wabernden, wuselnden schwarzen Wolke vor ihm schwebte. Einen Augenblick lang dachte Gray, er wäre in eine andere Dimension geraten und Teil einer surrealen Installation geworden.
    Als er einen Schritt näher heranging, raste die Wolke plötzlich auf ihn zu. Dann wusste er, woraus sie bestand – Fliegen,tausende winzige Insektengeschosse, die ihn im Gesicht, am Mund, an der Nase und den Augen trafen. Er stolperte rückwärts und würgte, machte sich aber gleichzeitig Sorgen, dass er den Tatort nicht kontaminieren durfte – dann war aber doch der Instinkt stärker, und ihm kam alles hoch. Er wankte nach draußen, kotzte sich den Magen leer, trat Sand darüber, stützte sich benommen an der Betonwand ab und schürfte sich dabei die Hand auf. Er wischte sich mit einem Taschentuch den Mund und die schweißnasse Stirn ab. Er atmete mehrmals tief durch. »Ganz ruhig«, sagte er sich, als er wieder hineinging. »Langsam.«
    Dann sah er sie. Mit blutverschmiertem Gesicht, offenem Mund und glasigen Augen kauerte sie an der Wand. Als wäre sie beim Schreien eingefroren.
    Gray legte sich die Hände an die Schläfen, seine Gedanken rasten. Hatte hier ein Massaker stattgefunden? Auf dem Boden vor ihm, wo die Fliegen gesessen hatten, lagen die Überreste eines Opfers. Ob es Darren Moorcock war oder nicht, hätte er nicht sagen können – nur, dass er mal lange, schwarze Haare und weiße Haut gehabt hatte, die jetzt aber größtenteils rot war.
    Er ging um die Leiche herum, versuchte, das Wummern in den Ohren zu ignorieren, das nur von seinem eigenen Herzen stammen konnte, und hockte sich vor Corrine. Sie starrte durch ihn hindurch. Ihr Gesicht war zwar voller Blut, er konnte aber keine Verletzungen feststellen. Er erinnerte sich daran, was die Sozialarbeiterin damals getan hatte, legte ihr eine Hand auf die Schulter, rüttelte sie sanft und sprach ruhig und deutlich. »Corrine, wach auf. Ist okay, Corrine, sie sind weg.«
    Ihre Augenlider zuckten, sie atmete kräftig aus und fiel ihm in die Arme wie eine Stoffpuppe.
    *
    Rivett war genervt, dass vor dem Iron Duke schon ein Krankenwagen parkte, als er mit einem Einsatzfahrzeug voller Polizisten und dem Leiter der Spurensicherung, Alf Brown, dort ankam. »Alles abriegeln!«, bellte er seinen Männern zu, als sie die Treppe an der Ufermauer hinunterstiegen. »In ein paar Stunden sind die Touristen unterwegs, und die sollen davon nichts mitkriegen.«
    Als die jungen Polizisten ausschwärmten, ging Rivett auf Gray zu, der gerade einem Sanitäter dabei half, Corrine Woodrow auf eine Trage zu heben.
    »Moment mal, Officer«, sagte er, ließ den Blick kurz über ihr blutverschmiertes Gesicht streifen, und sah dann wieder Gray an. »Haben Sie nicht gesagt, da drinnen liegt ’ne Leiche?«
    Grays Augen blitzten wütend auf, wie Rivett es bei ihm nur selten erlebt hatte. »Doch, Sir«, erwiderte der Detective Sergeant. »Aber gerade mache ich mir mehr Sorgen um die Lebenden.«
    Rivett schaute kurz den Sanitäter an, dann wieder Gray. »Sie beide bleiben hier«, befahl er. »Keiner rührt sich, bevor ich nicht alles gesehen hab.«
    Er kam mit einem Taschentuch vor dem Mund zurück aus dem Bunker. Er hustete, spuckte auf den Boden und sah Gray an. »Haben Sie ihr noch gar nicht Ihre Rechte verlesen?«
    »Sir?« Gray schaute zwischen Rivett und Corrine hin und her. »Das Mädchen ist schwer traumatisiert, die muss sofort ins Krankenhaus. Sehen Sie denn nicht …«
    Rivetts Gesicht verfinsterte sich. »Haben Sie nicht gesehen, was sie da drinnen getan hat, Detective Sergeant? Das ist eine Mörderin, verdammt noch mal!« Er schaute sich nach dem Spurensicherer um. »Alf, an die Arbeit, rein da mit Ihnen. Und vorher tief Luft holen. Und Sie«, wandte er sich an den Sanitäter, »können das Mädchen hier vor Ort behandeln, wenn’s sein muss. Die fährt aber nicht ins Krankenhaus, sondern kommt direkt mit mir auf die Wache.«
    Gray öffnete den Mund und wollte

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