Opfer
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*
»Mum!«, krächzte Debbie, als sie die Küchentür aufstieß.
»Debbie?« Maureen knetete Teig in einer Pyrex-Schüssel und schaute auf. »Was ist denn los?«
»Hab mich mit Al gestritten.«
Maureen rieb sich die Hände sauber und legte sie ihrer Tochter auf die Schultern. »Worüber denn, Schatz?«, fragte sie und schob Debbie behutsam auf einen Stuhl.
Debbie versuchte, sich zu beruhigen. »Er ist mit einer aus meiner Klasse zusammen, mit der schrecklichen SamanthaLamb … Die hat Corrine schon Riesenstress gemacht, und jetzt macht sie das Gleiche mit Al. Weißt du noch, wie Reenie damals total fertig bei uns ankam, nachdem sie vorher ’ne Woche nicht in der Schule war?«
Maureen nickte. Auch sie würde den Nachmittag so bald nicht vergessen.
»Samantha hatte ihr was angetan, ihr die Haare versaut und noch was, was sie mir nicht mal erzählen konnte. Aber vor allem hat sie sich von ihr ins Swing’s mitnehmen lassen, weil sie Al kennenlernen wollte. Als ich mit Darren da ankam, waren die beiden schon da, und sie hatte Al total um den Finger gewickelt.« Debbie wusste, dass sie wirres Zeug redete, konnte aber nicht anders. »Und seitdem ist er nicht mehr derselbe.«
Maureen starrte ihre Tochter an. »Hör zu …« Sie wollte sich bloß nicht herablassend anhören. »Natürlich ist es schwer, aber alle Jungs machen so eine Phase durch. Alex wird jetzt erwachsen, und da sucht er sich eben irgendwann eine Freundin.«
»Ich weiß.« Debbie nickte wütend. »Aber doch nicht die !«
»Er muss eben seine eigenen Fehler machen.« Maureen erinnerte sich an ihr Gespräch mit Philomina von nebenan. »Da kannst du ihm nicht helfen. Wenn du dich einmischst, bringst du die beiden nur noch enger zusammen.«
Debbie biss sich auf die Lippe. Sie wusste, dass ihre Mutter recht hatte.
»Komm, ich mach’ uns erst mal einen Tee, ja?«, sagte Maureen.
»Okay«, gab Debbie nach. Im Radio stellte Ian Masters wie jeden Samstagmorgen seinen Gast Old Barney vor, der im Norfolker Dialekt Bauernweisheiten verbreitete. Debbie ließ sich von dem vertrauten Gefasel einlullen, während ihre Mutter den Wasserkocher füllte.
» Do ya keep a traaashin’? «, sagte Old Barney im Radio.
*
Corrine wartete, bis Lizzy Sam den Handspiegel hinhielt, damit sie sich aus allen Richtungen betrachten konnte. Dann nahm Corrine sich den Besen und beobachtete Sam im Spiegel, wähend sie in den Salon ging. Sams zufriedener Blick verschwand sofort, als sich ihre Augen im Spiegel trafen.
»Alles klar?«, fragte Lizzy.
»Super, danke.« Sam fing sich schnell wieder. Corrine kehrte schon ihre Haare auf.
»Hi, Corrine«, sagte Sam mit ihrer süßesten Stimme. »Ich wusste gar nicht, dass du hier arbeitest.«
Corrine lächelte zurück. »Tja, man lernt nie aus.« Sie kehrte weiter jede einzelne Strähne auf.
Sams Lächeln verschwand. Lizzy nahm ihr den Umhang von den Schultern und bürstete ein paar Haare auf den Haufen, den Corrine bereits zusammengekehrt hatte.
»Gute Arbeit, Corrine.« Die Stylistin zwinkerte ihr zu. »Neue Kunden kann ich immer gebrauchen. Seid ihr Schulfreundinnen?«
»Genau«, sagte Samantha, stand auf und strich sich die letzten Haare von den Klamotten. Wenn sie meinte, sie würde Corrine die Arbeit erschweren, lag sie falsch. »Ganz besondere Freundinnen«, fügte sie hinzu.
Corrine sah den Hass in ihren Augen, befolgte aber Nojs Anweisungen. Sie verwandelte sich in einen Spiegel und warf einfach alles zurück. Sie fegte die letzten Büschel langsam und sorgfältig aufs Kehrblech. »Bis dann«, sagte sie, als sie fertig war.
»Genau.« Sam betrachtete sie von oben herab. »Bis irgendwann mal.«
Corrine musste sich das Lachen verkneifen, als sie ihre Beute davontrug. Sie leerte das Kehrblech nicht in den Mülleimer, sondern in eine kleine Holzschatulle, die Noj ihr gegeben hatte.
»Jetzt hab ich dich«, flüsterte sie leise. »Du Hexe.«
Teil 3
DIE JAGD
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21
ECHO BEACH
März 2003
Diesmal waren die Albträume ausgeblieben. Sean wachte um halb sieben auf und hatte das Gefühl, in seinem Kopf wäre ein Hebel umgelegt worden. Sein Unterbewusstsein hatte im Schlaf wohl herausgefunden, was ganz offensichtlich zu tun war. Er machte sich sofort an die Arbeit, telefonierte, las E-Mails und verschickte neue, führte Informationen zusammen und rief den Kurierdienst an, der Sheila Alcotts Akten zu seiner Auftraggeberin schaffen sollte. Sein Appetit war doppelt zurückgekehrt, und er schaffte einen ganzen Teller
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