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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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Einzelne Körner rieselten hinab, als er den Finger zur Nase hob. »Sieht aus wie Salz.«
    Er leckte vorsichtig daran. »Ja.« Er spuckte aus. »Das ist Salz.« Er fuhr mit der Hand über die Linien. »Die haben mit Salz gezeichnet.«
    Er schaute Sean an. »Das ist gerade erst gemacht worden. Morgen hätte der Wind schon wieder Sand darübergeblasen. Und was haben wir hier?« Er lehnte sich vor. »Wachs.« Er berührte eine erstarrte Substanz in der Mitte der Zeichnung. »Kerzen.«
    Gray stand auf und schwenkte die Lampe über die Wände. Er hielt inne, als er einen dunkleren, birnenförmigen Gegenstand von der Schießscharte hängen sah.
    Wortlos gingen beide Männer darauf zu, ohne auf die Linien des Pentagramms zu treten. Gray hob den Gegenstand in der flachen Hand an.
    »Das ist ja wohl …«, sagte er.
    Es war eine kleine Puppe, ein Mann mit schwarzem Mantel und Trilby mit Feder. Sie hatte eine Schlinge um den Hals und hing von einem rostigen Nagel. In der Puppe steckten mehrere bunte Nadeln.
    Eine Weile starrten Sean und Gray einander an, während der Wind so unheimlich heulte, dass sie Gänsehaut bekamen. Dann ließ Gray die Puppe wieder los.
    »Schwarze Magie?«, sagte Sean und dachte an Noj.
    Gray pfiff. »Oder irgendwer macht sich hier einen Riesenspaß.«
    Bei ihm war es mit der Gelassenheit vorbei. Aus seinem Gesicht sprach der pure Schock.
    »Das Buch«, Sean nutzte den Augenblick. »Corrine hatte ein Buch bei sich, als Sie sie mit dem Schwein unter dem Pier aufgegriffen hatten. Über schwarze Magie.«
    »So wurde mir das erklärt«, sagte Gray, der immer noch die Puppe anstarrte, die seinen alten Chef darstellte. »Aber …«
    Er hielt inne, drehte sich wieder zu Sean um, und sein Blick wurde hart.
    »Mit wem haben Sie gesprochen?«, fragte er. »Wer weiß noch, warum Sie hier sind?«
    Noj hatte nicht gelogen. Das Buch tauchte in keiner der alten Akten auf, nicht mal in Sheila Alcotts Aussage, die er letzte Nacht Wort für Wort durchgearbeitet hatte.
    »Mit niemandem«, erwiderte Sean. »Sie sind mein erster Zeuge. Ansonsten hab ich nur mit Len Rivett, DCI Smollet und einem alten Knacker im Archiv namens Alf Brown gesprochen.«
    Gray kniff die Augen zusammen und runzelte die Stirn. Er sah aus, als wollte er etwas sagen, überlegte es sich aber anders, schüttelte den Kopf und suchte weiter mit der Lampe den Bunker ab.
    »Na ja, immerhin haben wir hier nicht noch eine Leiche, bloß irgendeinen kranken Spinner …«
    Er schaltete die Lampe aus und gab sie Sean zurück. »Zeigen Sie Len das Ganze«, sagte er, als wäre der wieder der leitende Ermittler. »Aber ich hab genug, wenn’s recht ist.«
    Sean brauchte eine Zeit, bis er Tatortfotos gemacht, Gummihandschuhe angezogen, die Puppe eingetütet und Probenvom Salz und Wachs genommen hatte. Als er wieder nach draußen in den Sand trat, war Gray schon wieder auf halber Strecke zum Iron Duke, ein Strichmännchen in einem langen, schwarzen Mantel, das über die Dünen eilte.
    Er wartete an der Treppe zur Ufermauer. Seine Augen waren gerötet, aber das lag vielleicht am Wind.
    »Tut mir leid«, sagte Gray. »Das war unprofessionell.«
    »Schon in Ordnung«, erwiderte Sean. »Ich hatte auch nicht mit so etwas gerechnet.«
    »Nein.« Gray schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »So.« Sean legte die Hände auf die Balustrade. »Ich sag dann mal auf der Wache Bescheid, dass die die Spurensicherung losschicken sollen. Wer weiß, vielleicht findet sich ja die DNA von dem, den ich suche. Aber erst fahr ich Sie nach Hause.«
    »Ach, eigentlich« – Gray legte Sean die Hand auf den Arm – »hätte ich jetzt lieber ein bisschen Ruhe. Ich geh alleine nach Hause.«
    »Alles klar«, erwiderte Sean. »Das war wohl ein ziemlicher Schock …«
    »Ja«, Gray nickte hastig und hob verlegen die Hand. »Kann man wohl sagen. Aber« – er sah Sean ernst an – »Sie wollen mir sicher noch ein paar Fragen stellen, das ist auch in Ordnung. Seien Sie nur so nett und rufen Sie mich auf dem Handy an.«
    »Okay.« Sean nickte und holte sein eigenes heraus. »Dann geben Sie mir mal die Nummer.«
    »Ist wegen meiner Frau«, fuhr Gray fort. »Ich will sie nicht wieder mit der ganzen Sache belasten …« Er warf einen Blick zurück in Richtung Bunker.
    Er wirkte richtig verstört. Sean fragte sich, wie sehr es daran lag, was sie gerade gesehen hatten, und wie sehr an den alten Erinnerungen. Es hieß vielleicht nicht viel, aber Sean hatte sich in Grays Gesellschaft wohler gefühlt als in jeder

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