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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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frisch werden.«
    Als Sean ausstieg, blies ihm ein rauer Wind ins Gesicht. Über ihnen quietschten die Scharniere, die das abblätternde Porträt des Duke of Wellington hielten. Am Horizont drehten sich die gigantischen Propeller des Windparks.
    »In dem Pub hab ich früher viele Observationen durchgeführt.« Gray öffnete den obersten Knopf seines Mantels. »Diebe haben ihre Ware hier rausgebracht und gebunkert. Am Strand« – mit einer ausladenden Geste schloss er hundertachtzig Grad der Umgebung ein – »rund um den Schulsportplatz und hinten an der Rennbahn gibt’s tausend Verstecke. Da vorne ist auch noch ein Ferienpark, und der war auch immer voller Gauner.« Er schüttelte den Kopf. »Die konnten’s selbst im Urlaub nicht lassen.«
    Gray führte ihn vom Parkplatz, die Treppe von der Ufermauer hinab in die Dünen. Sean wünschte sich einen wärmeren Mantel und senkte den Kopf gegen den Wind. Der Sand war weich, und bald war er außer Puste.
    »Warum sind Sie damals hier rausgefahren?«, fragte Sean.
    Gray legte die Stirn in Falten und starrte den Horizont an.
    »Ich war kurz vorher schon hier gewesen«, erinnerte er sich. »Am langen Wochenende vor dem ersten Mai. Am Samstagabend war ich an der Schule gewesen; George Clifton, der alte Direktor, brauchte Hilfe. Da haben die dauernd randaliert. George hatte einen Alarm, der direkt an die Wache ging, und er musste fast jedes Wochenende hier raus.« Gray kam oben auf einer Düne an. »Auf jeden Fall hatte er diesmal eine Familie erwischt, die bei ihm auf dem Sportplatz kampierte.« Er grinste Sean schief an. »Das waren nicht gerade Leute, die einfach gehen, wenn man sie nett bittet. Also bin ich hergekommen und hab denen einen von unseren Hunden vorgestellt. Hab gesagt, ich lass ihn los, wenn sie nicht abhauen. Da haben die es sich schnell anders überlegt. Als ich danach zurück zum Auto kam, kam gleich die nächste Meldung rein. Ein Anwohner hatte sichüber eine Party in den Dünen beschwert. Ich war am nächsten dran und hatte den Hund dabei, also hab ich die Sache übernommen. Man konnte schon von weitem da hinten den Rauch vom Lagerfeuer sehen.« Er zeigte nach Nordosten, wo Sean in einer Mulde ein flaches, graues Betondach erkannte. »Da hat ’ne ganze Horde von diesen Gruftis gefeiert.«
    Auf der nächsten Düne blieb er wieder stehen und ließ Sean aufholen. Gedankenverloren hatte er wohl übersehen, dass sein Begleiter nicht ganz mitkam. Er wirkte besorgt. »Alles klar, Junge?«, fragte er.
    »Ja.« Sean nickte. »Keine Sorge, ich hab zwar kaputte Beine, aber ich schaff das schon. Erzählen Sie ruhig weiter.«
    »Ja? Okay, Corrine Woodrow war auch dabei. Und als Len mir erzählte, dass einer von denen vermisst wird, ist mir sofort die Stelle hier eingefallen, weil ich mir gedacht hab, das ist deren Versteck.« Er blieb stehen und verzog kurz das Gesicht. »Da lag ich richtig.«
    »Das war bestimmt nicht einfach …«, setzte Sean an.
    Aber Gray ging schon weiter. »So, wir sind da.« Er zeigte nach vorne.
    Sean folgte ihm eine weitere Düne hinab. Der alte Bunker war zwischen zwei Dünen versunken, und der Sand lag fast bis hinauf zu dem Schlitz, hinter dem die Soldaten in den 40ern ihr Maschinengewehr aufgebaut hatten. Der Beton war löchrig und mit gelben Flechten bedeckt, und aus den Rissen und Spalten wuchs Kreuzkraut.
    »Hier geht’s rein.« Gray duckte sich durch einen Eingang.
    Erst nach einer Weile gewöhnten sich ihre Augen an die Dunkelheit. Der Wind heulte.
    »Sie waren vorher schon mal auf Corrine gestoßen, oder?«, fragte Sean.
    »Ein paarmal«, erwiderte Gray. »Sie hatte nicht gerade ein fürsorgliches Zuhause. Ihre Mutter war stadtbekannt.«
    »Ja, das hab ich gehört. Aber einmal …«
    Gray hob den Zeigefinger. »Moment!« Er hockte sich hin. »Nicht weitergehen. Haben Sie eine Taschenlampe dabei?«
    Sean wühlte in seinem Rucksack. Auf dem kurzen Weg hierher waren ihm die Hände ganz steifgefroren.
    »So, hier«, er gab Gray die Lampe.
    »Gucken Sie sich das mal an.« Gray leuchtete über den Boden.
    Jemand war vor ihnen hier gewesen, hatte den ganzen Sand vom Boden gefegt und dann etwas gezeichnet.
    »Teufel noch mal«, sagte Gray.
    Ein weißes Pentagramm, das glitzerte, wenn der Lichtstrahl es traf.
    Auch Sean hockte sich hin, um besser zu sehen, und stützte die Hände auf die Knie. Ein Moschusgeruch stieg ihm in die Nase. Außerdem Flieder, Lavendel und Gewürznelke.
    »Komisch.« Gray berührte das Symbol mit dem Finger.

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