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Opfer

Opfer

Titel: Opfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cathi Unsworth
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Spiegelbild des Mannes hinter ihm seinen Blick magisch an. Das Grinsen des Bullen wurde breit, er zeigte die Zähne, während sein stärkerer Motor ihn mühelos näher heranschob und er mit der Pistole auf Wolfs Tank zielte.
    Funken sprühten, als kreischend und scheppernd Metall an Metall kratzte. Die Maschine ruckte zwischen Wolfs Beinen und drängte auf die Hafenmauer zu. Bevor er überhaupt schreien konnte, wurde er in Richtung Betonbalustrade abgeworfen und flog eine Sekunde lang durch die Luft, die sich wie in Zeitlupe zu einer Ewigkeit ausdehnte. Ruhig und gelassen – ein unabhängiger Beobachter seines eigenen Selbstmords – verarbeitete Wolf die Tatsache, dass er gerade von einem Bullen ausmanövriert worden war.
    Dann klatschte er an die Wand.
    Als er die Augen öffnete, schaute er durch einen roten Nebel. Er hörte es in seinem Schädel laut wummern, aber es dauerte eine Weile, bis er verstand, dass da gerade sein Herz Blut aus seinem Bein pumpte. Immerhin sah er nicht, in welchem Winkel es abstand, denn er konnte auch den Kopf nicht bewegen. Wolf kam es vor, als würde er ein Stück über seinem Körper schweben, während er versuchte, das Gesicht vor sich zu fokussieren und zu hören, was es zu ihm sagte.
    Er merkte, dass der Bulle ihm die Jacke öffnete, seine Taschen durchwühlte und die Tütchen herausnahm, die er dort versteckt hatte. Aber Wolf war zu schwach, um sich zu widersetzen. Es blieb ihm keine Zeit mehr für Empörung, Wut, Bedauern, nicht einmal für die Schmerzen. Das Hämmern in seinem Kopf wurde eins mit dem Rauschen und Zischen des Meeres, und er spürte, wie er angehoben wurde.
    Einen letzten Satz von den Lippen des Killer-Bullen verstand er: »Das hier ist meine Stadt, Junge.«
    Und dann fiel er wieder, hinab ins Meer, in die eisigen Tiefen der Ewigkeit.
    *
    Gray rieb sich den Schlaf aus den Augen und setzte sich hinters Steuer des Zivilwagens. Der Fang einer Nacht im Golden Sands Holiday Park hockte still auf der Rückbank und wirkte empört, dass der Plan fehlgeschlagen war. Der Wachmann der Anlage hatte zwei jugendliche Gelegenheitseinbrecher dabei beobachtet, wie sie etwas in den Dünen vergruben. Er hatte dort eine Tüte voll Schmuck und Nippes gefunden und die Polizei gerufen. Dann hatten Gray und er sich auf die Lauer gelegt.
    Die beiden entstammten einer berüchtigten Familie aus der Sozialbausiedlung in der South Town und waren mit Diebstahl und Kleinkriminalität aufgewachsen. Gray hatte schon ihre großen Brüder und Onkel verhaftet. Er seufzte, als er daran dachte, dass die beiden sicher bald im Jugendknast landen würden, und das war erst der Anfang.
    Als er auf die Straße fuhr, ging gerade der große, gelbe Feuerball der Sonne am Horizont auf. Wie immer heulte und pfiff der Wind hier draußen am ungeschützten Ende des Strandes über die Schaumkronen.
    Als Gray die Straße entlangschaute, sah er ganz im Süden die Nelson-Statue, die die Hafeneinfahrt bewachte.
    Unter der Statue bewegte sich etwas. Es sah aus, als würde ein Mann etwas Schweres, Wuchtiges über die Hafenmauer hieven.
    *
    Die Zellen waren an diesem Morgen fast voll – in der Nacht war viel losgewesen. Kidd und Blackburn hatten kurz vor Gray eine Frau reingebracht, die sie die Wölfin nannten. Roy Mobbs, der die jungen Diebe registrierte, war eigentlich mit allen Wassern gewaschen, aber diese Nacht hielt selbst für ihn einige Überraschungen parat, wie zum Beispiel die Bissspuren an Kidds Knöchel.
    Gray staunte, als er sich die Wölfin ansah – dort saß, im krassen Kontrast zu Gina Woodrow, eine kleine Oma mit violetten Haaren und finsterem Blick.
    Als er zwei Stunden später bei Schichtende wieder durchs Büro kam, hörte er einen Gesprächsfetzen von dem Grüppchen vor Rivetts Tür, wo der DCI die Abschlussbesprechung mit seinen beiden Schützlingen abhielt.
    »… in der Kurve die Kontrolle über seine Maschine verloren«, sagte Rivett. »Schleudert quer über die Straße, knallt gegen die Mauer und segelt drüber weg ins Wasser. Als ich ausgestiegen bin, war er wohl schon untergegangen. Hab ihn wenigstens nirgends treiben sehen. Hat sich bestimmt beim Aufprall das Genick gebrochen. Ich hab die Küstenwache losgeschickt, aber wer weiß, ob die den finden.«
    »Nee«, vermutete Kidd. »Die Strömung ist da so stark, dass der sofort aufs offene Meer rausgerissen wurde.«
    Blackburn lachte heiser.
    Erst als Gray im Bett lag und wegdöste, bekamen die seltsamen Bilder, die er gesehen hatte, langsam

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