Opfere dich
reden wollte, war er für sie da, das wusste sie.
Sie ging den Gang hinauf und trat in den Ladies Restroom ein. Während sie sich ihre Hände wusch, betrachtete sie sich im Spiegel. Sie war blass und hatte dunkle Ringe unter den Augen. War das ein Wunder? Seit zwei Nächten hatte sie kaum geschlafen, weil sie nur an ihn denken konnte – an den Wachsmörder.
Wenn sie alleine war und zur Ruhe kam, hörte sie seine Stimme. Diese verführerische, dunkle Stimme, die eigentlich ganz nett und harmlos klang. Aber jedes seiner Worte traf sie wie ein Dolch.
Sobald sie ihre Augen schloss, tauchte Megan in ihren Gedanken auf. Storm sah ihre ängstlichen Augen, sie fühlte Megans Furcht, als wäre es ihre eigene. Und zum Teil war sie das sogar, denn sie hatte Angst, eines Tages selbst auf dem Seziertisch zu liegen. Selbst wenn man solch eine Folter überlebte, konnte man nur verrückt werden. Aber niemand überlebte ein Date mit dem Wachsmörder. Auch Storm würde sterben, sollte er sie jemals in die Finger bekommen.
Storm stützte sich mit den Händen auf dem Waschbecken ab und schloss die Augen. Dass er von ihr verlangte, sich ihm aus freien Stücken auszuliefern, zeigte, wie anmaßend er war. Sein Ego war stark und stolz und machte ihn gefährlich. Es grenzte an ein Wunder, dass er sie in der gestrigen Nacht nicht entführt hatte. Aber das gehörte zu seinem Plan. Der Killer hatte ein Ziel und setzte ihr zu. Er versuchte, sie mürbe zu machen. Und er war erfolgreich damit, denn sie fühlte sich elend. Doch das durfte niemand erfahren. Weder der Killer noch ihre Kollegen und erst recht nicht Commissioner Lombard.
Ich bin ein Cop, kein Opfer, wiederholte sie stumm wie ein Mantra.
Als die Tür aufging, schreckte Storm zusammen und riss ihre Augen auf.
Jamie LaBelle kam herein. „Geht es Ihnen nicht gut?“, fragte sie besorgt. Durch ihre matronenhafte Erscheinung wirkte die Sekretärin von Lobster einige Jahre älter, als sie war. Sie hatte immer dunkle Ringe unter den Augen, als würde sie nachts nie länger als zwei, drei Stunden schlafen.
Ein wenig Make-up täte ihr gut, dachte Storm, und dir selbst eine Zahnaufhellung . Sie war nicht eitel, konnte aber nikotingelbe Zähne nicht ausstehen, deshalb suchte sie ihren Zahnarzt regelmäßig zwecks Bleaching auf. Bald war wieder ein Termin fällig.
Sie quälte sich ein Lächeln hervor. „Doch, mir geht es bestens.“ Rasch trocknete sie ihre Hände mit zwei Papierhandtüchern ab und verließ eilig das Damen-WC. Sie zog eine Coke aus dem Getränkeautomaten, der auf dem Flur stand, und wollte gerade in ihr Büro zurückkehren, als sie Stimmen hörte. Es waren Malcolm, der Polizeichef und jemand Fremdes.
Die Bürotür wurde aufgerissen, und Lombard stand vor ihr. Er trug ein rotes Poloshirt, das seinen roten Teint sehr ungünstig unterstrich. „Da sind Sie ja, Harper. Das ist Special Agent Landon Manning vom Federal Bureau of Investigation.” Er schob seine Brille zur Nasenwurzel hoch.
„FBI?“ Storm traute ihren Ohren kaum.
„Er ist in beratender Funktion zur Soko ,Wachsmörder‘ gestoßen. Machen Sie nicht so ein Gesicht und seien Sie nett zu ihm, haben Sie mich verstanden? Kooperieren Sie mit ihm. Er ist eine Bereicherung und große Hilfe.“ Bevor sie etwas entgegnen konnte, hatte er sich bereits umgedreht und schritt eilig den Korridor entlang.
Am liebsten hätte Storm ihm den Stinkefinger gezeigt, aber sie riss sich zusammen und betrat das Büro.
Manning kam auf sie zu und streckte ihr seine Hand entgegen. „Ich bin in friedlicher Absicht hier und ein Freund, kein Feind, glauben Sie mir, bitte.“
Obwohl er lächelte, wirkte er distanziert. Seine steife Haltung ließ ihn reserviert erscheinen. Er beabsichtigte vermutlich, höflich-professionell aufzutreten. Er trug einen dunklen Anzug und eine hellblaue Krawatte, beides wirkte unpassend für diese Polizeidienststelle. Alle Officer trugen natürlich Uniform, aber die Detectives liefen allesamt in Jeans und Pullover herum. Nur Lobster trug sommers wie winters TShirts. Ihm war immer heiß, wie er sagte.
Storm schüttelte Mannings Hand keine zwei Sekunden lang. „Sie wollen uns in unsere Ermittlungen reinreden. Denkt Commissioner Lombard, wir schaffen unseren Job nicht alleine?“
„Er hat das FBI nur angefordert, weil er Druck von allen Seiten bekommt. Ab drei Morden gilt ein Täter als Serienkiller. Der Wachsmörder hat bereits sein viertes Opfer in seiner Gewalt. Megan Cropps. Ich habe die Berichte
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