Opfere dich
feucht und schlammig. Fußabdrücke hatten sich längst aufgelöst, und Sachbeweise, falls es sie gegeben hatte, waren in den Lake Michigan gespült worden, denn die Grundstücke am Ufer waren abschüssig.
„Wir haben nichts.“ Malcolm beendete das Telefonat, das er mit der Spurensicherung geführt hatte. Angesäuert warf er den Hörer auf seinen Schreibtisch und rückte seine West-Michigan-Lakers-Kappe zurecht, eine unbewusste Geste, die zeigte, dass er unzufrieden war.
Storm dachte an ihr kaputtes Telefon zu Hause. Sie hatte es nach dem Telefonat mit dem Serienkiller gegen die Küchenwand geworfen. Bisher war sie noch nicht einmal dazu gekommen, ein neues zu kaufen. „Doch, wir haben meine Beobachtungen und mein Gespräch mit ihm.“
„Vielleicht hat er dir nur Dinge erzählt, die du hören solltest“, gab er zu bedenken. „Er manipuliert gerne und könnte uns damit auf eine falsche Spur bringen wollen.“
Sie schüttelte den Kopf und bot ihm einen Schokokeks an.
„Ist das dein Frühstück?“, fragte Malcolm.
„Das ist alles, was ich noch im Haus hatte. Ich bin in letzter Zeit nicht zum Einkaufen gekommen.“ Storm, fast wieder ganz die alte, zuckte entschuldigend mit den Achseln und knabberte an einem Keks. „Der Killer klang aufgeregt. Möglicherweise hat er durchs Fenster beobachtet, wie meine Eltern mich gegängelt haben, und vielleicht hat das etwas in ihm ausgelöst.“
„Er hat sich wahrscheinlich in der Situation wiedererkannt.“
Storm befürchtete, dass der Wachsmörder sich mit ihr verbunden fühlte, weil er Parallelen erkannte. Das machte sie nur noch attraktiver für ihn. Mochte er sie auch in diesem Moment eher als Leidensgenossin und nicht als Opfer betrachtet haben – sein Wunsch, ihr nahe zu sein, war übermächtig geworden. „Fest steht, dass er ein gestörtes Verhältnis zu seinen Eltern hat. Oder vielmehr zu seiner Mutter, denn er sprach explizit von ihr.“
Malcolm lehnte sich zurück. „Vielleicht ist etwas passiert, als er fünf Jahre alt war.“
„Familiärer Missbrauch?“
„Kann sein, muss aber nicht.“
„Er könnte die Körperöffnungen der Frauen mit Wachs verstopfen, damit kein anderer Mann sie mehr besitzen kann. Sie gehören ihm, für immer.“ Es erschreckte Storm immer wieder, wie sachlich über Gewalt diskutiert wurde, aber die Grausamkeiten von Verbrechen gehörten nun mal zur Polizeiarbeit.
„Oder er versiegelt die Öffnungen, damit die Frauen ihn nie wieder dazu verführen können, dass er sie vergewaltigt.“ Er zuckte mit den Achseln und verschränkte die Finger ineinander. „Es kann sich auch um einen Ödipuskomplex handeln. Das würde zum Alter passen, auf das er reagiert hat. Ein Kind kommt laut Freud mit drei bis fünf Jahren in die ödipale Phase. Möglicherweise hat der Täter den Inzestwunsch nie abgelegt, und er holt sich nun, was seine Mutter ihm verweigert hat, bei anderen Frauen, die ihr ähnlich sind.“
„Gilbert Pinewood hat den Polizeischutz abgelehnt, vorerst, als wäre das ein kostenloser Service, den er anfordern könnte, wann es ihm passt.“ Storm verdrehte die Augen und leckte sich die Fingerspitzen. „Er fährt noch heute Abend nach Ontario und bleibt dort eine Weile, um neue Geschäftskontakte für Scrapticon aufzubauen. Kannst du das fassen? Mein Vater will nach Kanada expandieren, obwohl er nicht einmal ganz Amerika erobert hat, sondern Schrott – Verzeihung, er hasst den Begriff und bevorzugt die Bezeichnung Altmetall – nur nach Wisconsin, Illinois, Indiana, Ohio und Iowa verkauft. Langsam wird er größenwahnsinnig.“
„Das ist nicht ohne Risiko.“
„Sollte er sich verspekulieren und bankrottgehen, würde meine Mutter durchdrehen.“ Sie schob ihren Stuhl geräuschvoll zurück, erhob sich und präsentierte ihre Hände. „Ich muss sie mir waschen. Die Kekse sind ziemlich fettig, und die Schokoplättchen darin schmelzen viel zu schnell. Soll ich dir eine Coke aus dem Automaten mitbringen?“
„Erst Kekse und jetzt auch noch Cola zum Frühstück?“
Lachend antwortete sie: „Wenn schon ungesund, dann richtig.“
Malcolm winkte dankend ab. Er ging zur Kaffeemaschine und goss sich frischen Kaffee ein. „Ich bleibe lieber hierbei“, sagte er und hob seine Tasse hoch. „Das ist meine Droge.“
Als Storm das gemeinsame Büro verließ, kam sie sich wie eine Schauspielerin vor, eine schlechte zudem. Malcolm wusste, dass es ihr nicht gutging, aber er drängte sie nicht, ihm ihr Herz auszuschütten. Wenn sie
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