Opfergrube: Kriminalroman (Darmstadt-Krimis) (German Edition)
geschickt hat.«
»Okay«, sagte Horndeich. Er fühlte sich wirklich nicht wohl dabei. Doch er suchte die Nummer von Rainer im Verzeichnis seines Handys. Dann wählte er. Die Mailbox meldete sich. Er hielt das Handy in Richtung Nick, sodass er die Ansage auch hören konnte. Dann beendete er die Verbindung, bevor die Aufzeichnung begann.
»Weißt du, wo Rainer jetzt wohnt?«
»In irgendeinem Hotel. Aber du willst nicht, dass wir jetzt an seine Zimmertür klopfen, oder?«
Nick schüttelte den Kopf. Der Amerikaner mochte seine Chefin deutlich mehr, als ihm im Moment guttat, stellte Horndeich fest. Nun, was auch immer Margot gerade mit Rainer verhackstückte, morgen früh würde sie sich melden. Entweder, indem sie im Präsidium aufschlug. Oder, indem sie sich krankmeldete. Beides hielt Horndeich für möglich.
»Komm, Nick, ich fahre dich jetzt ins Hotel. Dann hole ich Doro ab und fahre sie nach Hause.«
»Ich hab so meine Zweifel, dass wir das hier überleben. Daher erzähle ich Ihnen jetzt die ganze Geschichte. Wir waren so krank damals«, sagte Philipp Kaufmann.
Margot wollte ihm da nicht widersprechen, nach allem, was sie über das Quartett in Erfahrung gebracht hatte. »Erzählen Sie, das befreit.« Wenn sie auch seine Einschätzung nicht teilte, dass sie diesen Ausflug in die Finsternis nicht überleben würden. Sie war mit Nick verabredet. Der würde sicher trommeln, wenn sie nicht auftauchte. Sie reagierte auf keinen Anruf, sie sendete keine SMS, und ihr Auto war nicht zu Hause. Also würde Nick sicher eins und eins zusammenzählen und ungefähr bei zwei rauskommen.
Kaufmann lachte bitter auf. Und hatte damit wieder Margots volle Aufmerksamkeit. »Wissen Sie, auch wenn Sie mir das nicht glauben, von uns vieren war ich noch der Gute.«
In der Tat fiel es Margot schwer, das zu glauben. Vielleicht war er der, der am wenigstens auf dem Kerbholz hatte – aber »der Gute«, das hielt Margot für ein wenig weit aus dem Fenster gelehnt.
»Wir kamen alle zur neunten Klasse auf dieses Scheiß-internat. Und alle aus dem gleichen Grund. Das offizielle Motiv war: Wir sollten eine gute Ausbildung bekommen. Der Grund hinter dem Grund war ein anderer: Alle vier waren wir von unseren Familien abgeschoben worden. In dem Internat bekamen wir nicht nur Bildung, sondern wir wurden auch bewacht und kontrolliert. Wir erhielten eine humanistische Erziehung. Das hieß für unsere Eltern übersetzt: Wenn wir Scheiße bauten, dann mussten sich unsere Erzeuger nicht darum kümmern.«
»Ist das nicht ein bisschen selbstgerecht?« Margot nahm an, dass Kaufmann mit den Schultern zuckte. Sehen konnte sie es nicht.
»Vielleicht. Egal. Wollen Sie nun hören, was damals passiert ist?«
»Ja.«
»Ich weiß heute gar nicht mehr, wie wir vier zusammenkamen. Wie ausgerechnet wir vier zueinanderfanden. Ich habe mir oft den Kopf darüber zerbrochen. Inzwischen habe ich eine Erklärung, aber ob sie stimmt?
Till war die treibende Kraft. Er hatte diesen komischen norddeutschen Akzent. Er war der King. Er war klug. Er konnte den Lehrern die Stirn bieten, ohne dass er wirklich etwas Schlimmes sagte. Ich bin ja nun auch schon ein paar Jahre Lehrer. Und diese überheblichen, aber intelligenten Alphatiere, sie sind der Albtraum für jeden Lehrer. Und jeder Schüler will sich in ihrem Glanze sonnen. So auch wir. Emil – er konnte damals mit Till mithalten. Auch er gab den Obercoolen, aber er machte Till immer klar, dass er mit dem zweiten Platz zufrieden war. Besser Vizekanzler als Schuhputzer.«
»Aber Sie und Wölzer – Sie waren keine Alphatiere, nicht wahr?«
»Nein, wir waren das Fußvolk. Aber wir waren auch die, die dem Ganzen die Seele gaben.«
Wieder entstand eine Pause. Margot verspürte Druck auf der Blase.
»Es hat gedauert, bis aus uns vier mehr wurde als eine lose Gemeinschaft. Anfangs hatten wir alle auch andere Freunde und Kumpel an der Schule. Es fing damit an, dass Till plötzlich ein Buch über die Illuminaten hatte. Es war die Steinzeit vor dem Internet. In der ein einzelnes Buch noch ein ganzes Gedankengerüst aufbauen oder auch zum Einsturz bringen konnte. Es war eine Kopie von Des Griffins Descent into Slavery – übersetzt von wem auch immer. Später kam dieses Buch auch offiziell auf Deutsch heraus, heute kann man es im Netz downloaden. Aber damals – da waren wir die Erleuchteten. Wir lasen die Beweise über die Regierung hinter den Regierungen. Über Satan als Drahtzieher hinter Hitler, der Französischen
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