Opfergrube: Kriminalroman (Darmstadt-Krimis) (German Edition)
klopfte. Dort stand Rainer Becker, Margots Mann.
»Rainer?«, fragte Horndeich, dem sofort bewusst wurde, dass hier irgendetwas gar nicht in Ordnung war.
»Rainer«, japste Margot und stand auf.
»Margot. Du antwortest ja nicht. Wir müssen reden. Ich muss mit dir reden. Das mit mir und Rhonda – das ist alles nicht so, wie …«
Weiter kam er nicht.
Margot schien auf einmal um fünf Zentimeter zu wachsen. »Rainer!«, rief sie.
Horndeichs Blick ging zwischen ihnen hin und her wie beim letzten Satz eines Tennismatches.
»Rainer!«, schrie Margot erneut.
Dann sah Horndeich etwas, was er bislang nur in den Filmen des Roten Kreuzes gesehen hatte. Margot atmete plötzlich ganz schnell. Und ganz flach. Und noch schneller. Und noch flacher.
»Margot!«, riefen Horndeich und Rainer gleichzeitig.
»Verpiss dich«, presste Margot noch hervor.
Dann versagten ihre Beine den Dienst. Margot klappte zusammen. Wie oft hatte Horndeich so was bei seinen Ersthelferkursen durchgespielt. Aber im echten Leben war es doch etwas anderes. Er schaffte es, Margots Fall abzufangen. So sank sie auf den Boden, ohne sich zu verletzen.
Rainer tat einen Schritt auf sie zu.
Horndeich, der direkt neben ihr auf dem Boden kauerte, befahl: »Abflug, Rainer. Alles andere später.«
Rainer ging nun auf der anderen Seite von Margot ebenfalls in die Knie. Er ergriff ihre Hand. »Margot, mein Schatz, ich liebe dich doch!«
Horndeich überlegte nicht lange, was er tun sollte, er reagierte instinktiv: »Rainer, gehen Sie!«, sagte er scharf.
Rainer Becker sah Horndeich konsterniert an: »Hören Sie mal! Was erlauben Sie sich?«
Horndeich und Rainer hatten sich mal geduzt. Aber Horndeich hatte sehr wohl mitbekommen, wessen Nummer Margot in den SMS-Blocker eingegeben hatte. Daher war das »Sie« jetzt durchaus angebracht. Seine Loyalität galt immer noch seiner Vorgesetzten.
Horndeich brachte Margot in eine stabile Seitenlage, wählte die 112, gab Adresse und Grund des Anrufs durch. Horndeich kannte seine Chefin seit mehr als zehn Jahren. Und er war sich inzwischen sicher, dass Margot, wenn sie das Bewusstsein wiedererlangte, jeden würde sehen wollen, aber nicht Rainer. Deshalb wurde er deutlich: »Abflug. Freiwillig oder holterdiepolter.«
Offenbar hatte Rainer seinen Stephen King gelesen. »Huckepack oder holterdiepolter« waren die Alternativen, die Annie Wilkes dem im Rollstuhl sitzenden Paul Sheldon im Buch Sie anbot, um die Kellertreppe nach unten zu gelangen.
Rainer erhob sich. Und sein beinah hasserfüllter Blick sagte Horndeich, dass er tatsächlich absolut in Margots Sinn gehandelt hatte.
Ihr Kopf schmerzte.
Ihr Magen schlug Kapriolen.
Alles ein großes »Aua«.
Dann diese Stimmen. »Frau Hesgart? Hallo? Können Sie mich hören?« Dann eine andere Stimme. »Margot? Hallo?« Horndeichs Stimme. Warum brüllten die alle nur so?
»Is’ ja gut.« Durch ihren Satz schienen für einen Moment alle zum Schweigen verurteilt. Gut so.
Der Notarzt spritzte ihr etwas.
»… sollten Sie!«
Ja. Sollte ich wohl, dachte Margot. Was auch immer.
»Haben Sie verstanden?«
Margot hatte das Gefühl, sich am anderen Ende eines langen Tunnels zu befinden.
»… Krankenhaus …«
»Nein. Nicht ins Krankenhaus. Ich bin okay«, sagte sie, wohl wissend, dass das die Übertreibung des Tages war.
»Wir müssen Sie …«, hörte sie den Arzt wie durch ein Walkie-Talkie sagen.
»Nichts müssen Sie.«
»… Ihre Gesundheit … Ihr Bestes.«
Nein, sie nahm nicht alles wahr, was die Menschen um sie herum sagten.
Es brauchte weitere zehn Minuten, bis sie dem Notarzt klargemacht hatte, dass sie nicht mit ins Krankenhaus fahren würde. Dass sie ihre Hausärztin aufsuchen würde. Ja. Heute noch. Versprochen.
Dann wieder Schwärze.
Seit Margot Hesgart, seine Chefin, der Fels in der Brandung, zusammengeklappt war, war schon eine halbe Stunde vergangen.
Sie lag auf einer der Liegen im Zimmer am Ende des Flurs und schlief.
Horndeich hatte mitbekommen, dass allein die Vorstellung von Krankenhaus der blanke Horror für Margot gewesen war. Er hatte mit dem Notarzt verhandelt.
Heftig verhandelt.
Nun wachte Margot langsam wieder auf. »Wo bin ich?«, wollte sie wissen.
»Hi. Du bist in unserem Krankenzimmer.«
»Krankenzimmer? Wieso? Ich bin doch topfit!«
»Klar.«
Margot fasste sich an den Kopf. »Aua. Was ist denn eigentlich los?«
Horndeich gab Margot eine kurze und prägnante Zusammenfassung der Ereignisse der vergangenen
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