Opfergrube: Kriminalroman (Darmstadt-Krimis) (German Edition)
eines Mannes wie Richard Wölzer allein bewegen? Vielleicht hatte sie, Margot, dennoch gerade einen Fehler gemacht, als sie der jungen Frau die vollzählige Bildergalerie gezeigt hatte.
Frau Schöffer brachte ihr das Mineralwasser.
Auch wenn das Gefühl nicht den Ausschlag geben sollte – Margot glaubte nicht, dass diese Frau hinter den Morden steckte. Und sie hoffte, dass die Fakten sie nicht eines Tages eines Besseren belehren würden.
Margot blieb an ihrem Tisch sitzen. Eigentlich hätte sie jetzt nach Hause fahren können. Und uneigentlich hatte sie dazu noch überhaupt keine Lust. Also blieb sie, lauschte der Musik und hing ihren Gedanken nach, während sie von Wasser auf Cola umstieg. Sie dachte an Rainer. An ganz frühe Zeiten, als sie als Jugendliche zusammen waren. An schöne Zeiten. Und dann an die nicht so schönen, die immer mehr die Oberhand gewonnen hatten. Manchmal huschte ein Lächeln über ihr Gesicht, ab und an lief eine Träne. Margot Hesgart nahm Abschied an diesem Abend, auch wenn ihr das Wort so nicht in den Sinn kam.
Margot dachte gerade an den Antrag, den Rainer ihr gemacht hatte, im Garten ihres Hauses. Auch schon lange her. Da erklang die Stimme einer Frau, die im Duett mit einem Mann sang. Er klang wie Jan-Josef Liefers. Aber der sang ja nicht, oder? Dann fiel ihr ein, dass es ein Lied der Gruppe Silly gab, in dem Liefers mit Anna Loos sang.
Ich danke dir, du hast mich an mich erinnert.
Ich und ich war’n einander schon so fremd.
Die seltsame Stimmung an diesem Abend zeigte ihre Wirkung, und die Worte des Liedes bewegten sich in ihrem Kopf. Vielleicht waren es die Nikotinschwaden vom Fremdrauchen, die den Nebel im Kopf erzeugten. Und Margot hatte den Eindruck, dass die Worte dieses Liedes irgendwie mit ihr zu tun hatten.
An ein Mädchen, das noch lebt.
An ein Mädchen, dessen Seele lächelnd schwebt.
An ein Mädchen, viel zu tough, es durch den Wolf zu dreh’n.
Ja, das war sie. Viel zu tough, sie durch den Wolf zu dreh’n. Da mussten schon andere kommen als Rainer. Und ja, sie lebte noch. War es nicht auch ein wenig ihr Vater, der sie immer wieder an sie erinnerte? Der sie an früher erinnerte, an die unbekümmerten Zeiten.
Dieses Früher, in dem so viele Wurzeln lagen für das Jetzt.
Dieses Früher …
Petra Schöffer kam an ihren Tisch. »Frau Hesgart, wir machen jetzt zu.«
Margot nickte. Schaute auf ihre Uhr. Es war fast ein Uhr.
Silly hatte den Song beendet. Und Robert Plant intonierte: There’s a lady who’s sure all that glitters is gold. And she’s buying a stairway to heaven.
Stairway to Heaven. Wieder so ein Rainer-Lied. Auf seinem Kleinkraftrad waren sie damals immer wieder in die Disco Red-Stone gefahren, nach Fränkisch-Crumbach. Auch als es schon saukalt gewesen war. Und die giftgrüne Kreidler Florett RS fuhr ja auch satte fünfundachtzig Stundenkilometer. Margot war beeindruckt gewesen. Aber nur in Crumbach hatten sie halt die Musik gespielt, die Margot und Rainer gemocht hatten. Alte Musik. Was Anfang der Achtziger Jimi Hendrix, Jimmy Page und andere Größen der ausgehenden Sechziger und beginnenden Siebziger gewesen waren. Was hatte sie ihren Rainer angehimmelt. Und sie hatte es so genossen, sich auf dem Motorrad von hinten an ihn zu schmiegen.
Vor drei Jahren war sie mit Rainer noch mal im Red-Stone gewesen. Auch da war alte Musik gelaufen. Wobei die alte Musik von heute die neue von damals gewesen war. Aber auch als sie Stairway to Heaven gespielt hatten, hatte sich das alte Gefühl nicht mehr einstellen wollen.
Margot beglich die Rechnung.
Die Musik von früher war wieder in ihrem Kopf. Und diese Zeile von Silly: Ich danke dir, du hast mich an mich erinnert.
Jetzt wusste sie genau, was sie am nächsten Tag checken würde.
FREITAG, 29. JUNI
Sie hatte wieder lange geschlafen. Es war bereits elf, als sie aufstand, sich duschte und anzog.
Sie tat etwas, was sie seit Monaten nicht mehr gemacht hatte. Sie klopfte an Doros Zimmertür.
»Ja?«
»Ich bin’s. Magst du einen Kaffee?«
Die Tür öffnete sich. Doro, in T-Shirt und Schlafanzughose mit Bärenmuster, sah Margot mit Skepsis im Blick an. »Kaffee?«, fragte sie.
»Ja.«
»Nur so?«
»Ja und nein. Ich würde gern mit dir reden.«
Doro verdrehte die Augen. »Wenn du meckern willst, mach es doch einfach jetzt und hier.«
Für einen Moment war Margot verdutzt, dann musste sie sich eingestehen, dass Doros Verhalten nicht ganz unbegründet war. »Nein, das war die alte Margot. Die neue
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