Opfergrube: Kriminalroman (Darmstadt-Krimis) (German Edition)
drum.
»Kennst du auch den?«
Sie legte das Bild auf den Tisch, auf dem Philipp Kaufmann zu sehen war.
»Ne. Weiß ich nicht. An den kann ich mich nicht erinnern. Ich hatte immer nur Augen für Emil. Aber für den war ich so durchsichtig – wie – wie – Wasser.«
Luft, korrigierte Margot stumm.
»Echt, dass du jetzt hier auftauchst – das ist schon irgendwie Schicksal.«
Margot nickte.
»Und du machst jetzt auch hier Urlaub wie deine Alten?«
»Nein. Ich bin nur so ein bisschen unterwegs – auf der Suche nach der Vergangenheit.«
»Krass. Nur hier?«
»Nein. In ganz Deutschland.«
»Dann hast du also in ganz Deutschland irgendwelche Typen.« Wanda gickelte.
»Hätte ich gern gehabt.«
»Du bist mir eine.« Wanda lachte.
Der DJ legte Welcome to Heart Light von Kenny Loggins auf. Wanda sprang auf – »Sorry, muss ich drauf tanzen« – und verschwand auf der Tanzfläche.
Der Laden war jetzt schon richtig voll. Margot blieb sitzen. Emil Sacher war also wirklich Gast im Red-Stone gewesen. Sie trank die Cola aus, sammelte ihre Bilder wieder ein und ging auf die Empore, von der aus sie einen guten Blick auf die Tanzfläche hatte.
Sie machte noch zwei weitere Frauen um die vierzig aus, die offensichtlich allein gekommen waren, Anschluss suchten und daher eher offen waren für ein Gespräch.
Als Margot eine der beiden ansprach, eine etwas rundlichere Frau mit kurzem braunem Lockenhaar, fing sie sich eine Abfuhr ein. Und die andere erkannte niemanden auf den Bildern.
Um elf Uhr war die Disco proppenvoll. Eine Gruppe von vielleicht zwanzigjährigen jungen Frauen feierte den Junggesellinnenabschied ihrer Freundin. Lautstark, raumfüllend. Margot machte dann noch zwei Frauen aus, die sich eher im Hintergrund hielten, aber ebenfalls das Geschehen besonders unter den männlichen Gästen sehr genau beobachteten. Aber auch die beiden erkannten keinen der beiden Jugendlichen auf ihren Fotos.
Margot ging auf die Tanzfläche, als Kiss aufspielte. I Was Made for Lovin’ You. Margot schloss die Augen und überließ sich dem Rhythmus. Das Lied hatte sie immer mit Rainer gehört. Oft hatten sie sich bei diesem Lied geküsst, und Margot hatte tatsächlich gedacht, dieses Lied wäre ganz allein ihr Lied gewesen, geschrieben für sie, nur für sie, denn sie beide, sie wären füreinander geschaffen. Oft hatte sie Tränen in den Augen gehabt, wenn sie dieses Lied später noch einmal gehört hatte. Heute musste sie lächeln. Ein wenig nur. Aber es war immerhin ein Lächeln.
Das Klavierintro, auf das man nicht tanzen konnte, verhieß den nächsten Song: Locomotive Breath von Jethro Tull.
»Was zu trinken?«
Margot öffnete die Augen. Der Mann stand direkt vor ihr. Margot hatte keine Ahnung, wie lange schon.
Sie taxierte ihn. Auch um die vierzig. Lederweste. Pferdeschwanz mit schon ins Graue gehendem Haar. Also ein potenzieller Zeuge. »Gern. Ne Cola.«
»Wie Cola? Jackie-Cola?«
»Nein. Cola-Cola.«
»Du bist witzig!«
Jethro Tull rockten los.
»Seefahrer?«, schrie Margot lächelnd und zeigte auf das Tattoo eines Ankers auf dem Unterarm ihres Gegenübers. In normaler Lautstärke konnte man sich nicht unterhalten.
»Vergiss es!« Der Mann drehte sich um. Offenbar passte Margot nicht in sein Beuteschema.
Sie ging wieder an einen Tisch in der Nähe der Tanzfläche.
Dann spielte der DJ noch ein Lied aus ihrer Vergangenheit. Sieben Tage lang von Bots . Dann Are ›Friends‹ Electric? von Tubeway Army. Und schließlich Gold von John Stewart. Kannte keine Socke. Nur weil Stevie Nicks von Fleetwood Mac den Background gesungen hatte, hatte Margot überhaupt herausgefunden, von wem das Lied war.
Margot gab sich ganz der Musik hin.
Als der Song zu Ende war, öffnete sie die Augen. Und sah in ein paar blaue Augen auf ihrer Höhe. Der Mann sagte nichts, schaute sie nur an.
Die Gitarren in den Boxen spielten nun das vertraute Intro der Rolling Stones – Angie .
Der Mann ihr gegenüber nahm einfach ihre Hand, trat auf sie zu – und so tanzte Margot den ersten Blues seit ihrer Schulzeit. Sie kannte den Mann nicht, und es war auch egal. Sie war vollkommen nüchtern. Und sie genoss den Moment.
»Ich bin Nick«, sagte der Kerl, der sicher zehn Jahre jünger war als sie.
Nicht schon wieder ein Nick, dachte Margot. »Margot«, sagte Margot.
»Möchten Sie etwas trinken?«
Das »Sie« empfand Margot ja schon mal als sehr angenehm. »Gern eine Cola.« Keine Gegenfrage, ob mit Jack oder Jim versetzt. Wieder ein
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