Opferlämmer
wurde schwarz. Der Eindringling löste manuell die Bremse und schob den Stuhl an eine Stelle, an der ein Streifen Sonnenlicht durch das Fenster in den Raum fiel.
Dann drehte er den Stuhl langsam um.
Rhyme wollte etwas sagen, doch dann fiel sein Blick auf das Gesicht des Mannes, und seine Augen verengten sich. Einen Moment lang blieb er stumm. Dann flüsterte er: »Das kann nicht sein.«
Der plastische Chirurg hatte sehr gute Arbeit geleistet. Dennoch sah der Mann irgendwie vertraut aus. Rhyme hätte ihn ohnehin jederzeit wiedererkannt. Angeblich versteckte er sich gerade in einem zwielichtigen Viertel von Mexico City. Es war Richard Logan, der Uhrmacher.
… Sechsundsiebzig
Logan schaltete das Mobiltelefon aus, das er mühelos vom Tisch an sich genommen hatte.
»Das begreife ich nicht«, sagte der Kriminalist.
Logan nahm seine Werkzeugtasche von der Schulter, stellte sie auf den Boden, ging in die Hocke und öffnete sie. Er griff hinein und holte einen Laptop daraus hervor, dann zwei drahtlose Videokameras. Eine brachte er in die Küche und richtete sie auf die Gasse aus. Die andere platzierte er in einem der vorderen Fenster. Er fuhr den Computer hoch, stellte ihn auf einen nahen Tisch und tippte etwas ein. Es öffneten sich sofort zwei Bildschirmfenster, in denen der vordere und der hintere Zugang zu Rhymes Haus zu sehen waren. Auf die gleiche Weise hatte Logan das Battery Park Hotel ausgespäht und den genauen Moment abgepasst, um Vetter zu erwischen.
Er hob den Kopf und lachte leise auf. Dann ging er zu dem Kaminsims aus dunklem Eichenholz, auf dem ein kleines Podest mit einer Taschenuhr stand.
»Sie haben mein Geschenk noch«, flüsterte er. »Und Sie… Sie präsentieren es sogar.« Er war überrascht, denn er hatte angenommen, die alte Breguet wäre in ihre Einzelteile zerlegt und genauestens untersucht worden, um einen Hinweis auf Logans Wohnort zu entdecken.
Sie beide mochten Feinde sein, und Logan würde ihn bald töten, aber er empfand große Bewunderung für Rhyme und war merkwürdig erfreut, dass dieser die Uhr intakt gelassen hatte.
Bei genauerer Überlegung gelangte er jedoch zu dem Schluss, dass der Kriminalist natürlich trotzdem eine penible Untersuchung angeordnet hatte, bis zu den letzten Haarfedern und Edelsteinen. Aber danach hatte er den Mechanismus wieder einwandfrei zusammensetzen lassen.
Was Rhyme in gewisser Weise ebenfalls zu einem Uhrmacher werden ließ.
Neben der Taschenuhr lag der Brief, der sie damals begleitet hatte. Darin wurde Rhyme einerseits großer Respekt gezollt, ihm andererseits aber ein nächstes Zusammentreffen angedroht.
Und nun erfüllte Logan dieses Versprechen.
Der Kriminalist erholte sich allmählich von seinem Schreck. »Meine Leute werden gleich zurückkommen«, sagte er.
»Nein, Lincoln, das werden sie nicht.« Logan zählte auf, wo die Personen geblieben waren, die sich noch vor fünfzehn Minuten im Haus aufgehalten hatten.
Rhyme runzelte die Stirn. »Woher wissen … ? O nein. Natürlich, der Generator. Sie haben ihn verwanzt.« Er schloss verärgert die Augen.
»Richtig. Und ich weiß, wie viel Zeit mir bleibt.«
Richard Logan musste daran denken, dass er das stets wusste, was auch immer er gerade tat.
Rhymes Bestürzung verwandelte sich in Verwirrung. »Demnach hat nicht Randall Jessen sich als Ray Galt ausgegeben, sondern Sie.«
Logan musterte liebevoll die Breguet. Verglich die Zeit mit der Uhr an seinem Handgelenk. »Sie lassen sie regelmäßig aufziehen. « Dann legte er die Uhr zurück auf das Kaminsims. »Korrekt. Ich bin eine Woche lang Raymond Galt gewesen, der meisterliche Elektriker und Störungssucher.«
»Aber ich habe Sie doch auf dem Überwachungsvideo des Flughafens gesehen … Sie wurden angeheuert, um Rodolfo Luna in Mexiko zu töten.«
»Nicht ganz. Sein Kollege Arturo Diaz steht auf der Lohnliste eines der großen Drogenkartelle, das von Puerto Vallarta aus operiert. Luna zählt zu den wenigen ehrlichen Polizisten, die in Mexiko übrig sind. Diaz wollte mich anheuern, damit ich Luna töte. Aber ich hatte schon was anderes vor. Allerdings war ich gegen eine Gebühr bereit, so zu tun , als hätte ich diesen Auftrag. Dadurch wurde nicht nur der Verdacht von Diaz abgelenkt, sondern auch ich hatte etwas davon. Es sollte nämlich jeder – vor allem Sie – glauben, ich sei woanders als in New York City.«
»Aber da am Flughafen …«, flüsterte Rhyme konsterniert. »Sie waren in dem Jet. Die Aufzeichnung der
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