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Opferlämmer

Opferlämmer

Titel: Opferlämmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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könnte vereinzelt Panik ausbrechen. Aber es würde keine Toten geben, allenfalls einige Verletzte.
    Dann kehrte Sommers auf den Boden der Tatsachen zurück. Um einen solchen Kurzschluss zu bewirken, gab es nur eine Möglichkeit, und die erforderte die gefährlichste alle denkbaren Arbeiten: das Hantieren an einer Leitung, die unter 138 000 Volt Spannung stand. Nur die erfahrensten Techniker waren dazu in der Lage. Sie ließen sich in einem isolierten Korb an die Überlandleitungen heben – oder besser noch von einem Hubschrauber aus abseilen, um jedes Risiko einer Erdung auszuschließen. Dabei trugen sie Faraday-Anzüge – Kleidung aus Metall – und verbanden sich direkt mit dem Hochspannungskabel. Sie wurden buchstäblich ein Teil davon, und Hunderttausende Volt strömten über ihre Körper.
    Charlie Sommers hatte noch nie eigenhändig an einer Hochspannungsleitung gearbeitet, aber er wusste, wie es ging – theoretisch.
    Wie ein Vogel auf dem Drahtseil …
    Er holte nun sein jämmerlich kleines Werkzeugset vom Stand der Algonquin und lieh sich bei einem der anderen Aussteller ein Stück leichtes Hochspannungskabel. Dann lief er in einen düsteren Korridor, in dem es eine Tür zum Treppenhaus gab. Er musterte den Kupfergriff, zögerte aber nur kurz und riss die Tür auf, um sich in die finsteren Tiefen der Kellergeschosse zu begeben.
    Ich soll mich nicht vom Fleck rühren?
    Von wegen.

… Vierundsiebzig
    Er saß vorn in seinem weißen Lieferwagen. Es war heiß, denn die Klimaanlage war ausgeschaltet. Er wollte hier nicht mit laufendem Motor stehen und Aufmerksamkeit erregen. Ein geparktes Fahrzeug ist meistens kein Problem. Ein geparktes Fahrzeug mit laufendem Motor wirkt ungleich verdächtiger.
    Schweiß lief ihm über die Wange. Er nahm kaum Notiz davon und drückte sich den Kopfhörer fester ans Ohr. Immer noch nichts. Er drehte die Lautstärke höher. Rauschen. Ein oder zwei metallische Geräusche. Ein Knacken.
    Er dachte an die Warnung, die er vorhin per E-Mail verschickt hatte: Falls Sie mich auch diesmal ignorieren, werden die Konsequenzen bei Weitem gravierender ausfallen als bei den kleinen Zwischenfällen von gestern und vorgestern. Und es wird wesentlich mehr Tote geben …
    Ja und nein.
    Er neigte den Kopf und lauschte der Übertragung des Mikrofons. Es war in dem Generator versteckt, den er auf dem Schulgelände in Chinatown platziert hatte. Ein trojanisches Pferd, das von der Spurensicherung liebenswürdigerweise direkt zu Lincoln Rhyme transportiert worden war. Mittlerweile kannte er bereits so ziemlich alle beteiligten Personen und ihre gegenwärtigen Aufenthaltsorte. Lon Sellitto, der NYPD-Detective, und Tucker McDaniel, der ASAC des FBI, waren zum Rathaus aufgebrochen, von wo aus sie die Maßnahmen beim Kongresszentrum koordinieren würden.

    Amelia Sachs und Ron Pulaski rasten derweil direkt zum Manhattan Convention Center, um zu überprüfen, ob der Strom sich abschalten ließ.
    Reine Zeitverschwendung, dachte er.
    Dann merkte er auf, denn er hörte Lincoln Rhymes Stimme. »Okay, Mel, du musst sofort das Kabel nach Queens ins Labor bringen.«
    »Das …?«
    »Das Kabel!«
    »Welches?«
    »Zum Teufel, wie viele sind es denn?«
    »Ungefähr vier.«
    »Na ja, ich meine das Ding aus der Schule in Chinatown. Ich möchte, dass sie die Partikel zwischen der Isolierung und dem Metallstrang herausholen und durch ihr SEM jagen.«
    Er hörte Plastik und Papier rascheln. Gefolgt von Schritten. »Ich bin in vierzig Minuten zurück. Spätestens in einer Stunde.«
    »Es ist mir egal, wann du wieder hier bist. Ruf mich sofort an, wenn die Ergebnisse vorliegen.«
    Dumpfe Schritte.
    Das Mikrofon war sehr empfindlich.
    Eine Tür fiel zu. Stille. Das Klicken von Computertasten, sonst nichts.
    Dann Rhyme, der rief: »Verdammt, Thom! … Thom!«
    »Was ist, Lincoln? Hast du …?«
    »Ist Mel schon weg?«
    »Moment.«
    Nach ein paar Sekunden rief die Stimme: »Ja, er ist gerade losgefahren. Soll ich ihn anrufen?«
    »Nein, nicht nötig. Ich brauche ein Stück Draht. Mal sehen, ob ich etwas nachvollziehen kann, was Randall gemacht hat … Ein langes Stück Draht. Haben wir so was im Haus?«
    »Ein Verlängerungskabel?«

    »Nein, länger. Sechs, neun Meter.«
    » Warum sollte ich einen so langen Draht hier haben?«
    »Ich dachte nur, es könnte ja sein. Tja, dann hol welchen. Gleich.«
    » Und woher?«
    »Aus irgendeinem Drahtladen, verdammt! Keine Ahnung. Aus einer Eisenwarenhandlung. Da ist doch eine am Broadway,

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