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Opferlämmer

Opferlämmer

Titel: Opferlämmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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Bodenkontakt berühren durfte, hatte er aus einem Feuerwehrschlauch eine Schlinge geknotet und sie an einem Laufsteg oberhalb der Leitung festgebunden. Unter Aufbietung all seiner Kräfte war er dann an dem Schlauch nach unten geklettert und hatte seinen Körper in die Schlinge bugsiert. Er hoffte inständig, dass diese Schläuche ausschließlich aus Gummi und einem Textilstoff bestanden; falls zur Verstärkung Metallfasern hinzugefügt waren, würde Sommers in einigen Minuten zum zentralen Bestandteil einer unfreiwilligen Erdung werden und verdampfen.
    Um seinen Hals hing das entliehene Kabel, und mit seinem Schweizer Taschenmesser schälte Sommers gerade die dunkelrote
Isolierung von den Enden ab. Danach würde er auf gleiche Weise ein Stück der Hochspannungsleitung freilegen und dann mit ungeschützten Händen die beiden Kabel aneinanderhalten.
    Daraufhin würde eines von zwei Dingen passieren.
    Entweder nichts.
    Oder die besagte Erdung … und Verdampfung.
    Im ersten Fall würde er vorsichtig das freie Ende des Kabels ausstrecken und damit einen der Stahlträger berühren, die zum Fundament des Kongresszentrums gehörten. Das wiederum würde einen gewaltigen Kurzschluss verursachen und die Trenner des Kraftwerks auslösen.
    Charlie Sommers wäre dabei zwar nicht geerdet, aber die hohe Spannung musste in einem Lichtbogen resultieren, der ihn mühelos verbrennen konnte.
    Da er wusste, dass die Frist keine Rolle spielte und Randall und Andi Jessen jeden Moment den Schalter betätigen konnten, beeilte er sich nach Kräften. Die gekräuselten Streifen der blutroten Isolierung rieselten unter ihm zu Boden. Sommers dachte unwillkürlich, dass sie wie die fallenden Blütenblätter verwelkender Rosen aussahen, die in der Leichenhalle zurückblieben, nachdem die Trauergäste den Heimweg angetreten hatten.

… Achtundsiebzig
    Richard Logan sah Lincoln Rhyme aus einem der großen Fenster des Hauses schauen – in Richtung East River. Irgendwo da draußen ragten die grau-roten Türme der Algonquin Consolidated Power über dem trostlosen Flussufer auf. Die Schlote waren von hier aus nicht zu erkennen, aber Logan vermutete, dass Rhyme an kalten Tagen die aufsteigenden Rauchfahnen über der Skyline ausmachen konnte.
    Der Kriminalist schüttelte den Kopf. »Andi Jessen hat Sie gar nicht angeheuert.«
    »Nein.«
    »Sie ist das Ziel , nicht wahr? Sie hängen ihr etwas an.«
    »Stimmt.«
    Rhyme wies mit dem Kopf auf die Werkzeugtasche zu Logans Füßen. »Da drin sind Beweise, die Andi und ihren Bruder belasten. Sie werden die Spuren hier deponieren, damit es so aussieht, als hätten die Geschwister Jessen auch mich ermordet. So haben Sie es schon die ganze Zeit gemacht. Die Partikel vom Rathaus, das blonde Haar, das griechische Essen. Jemand hat Sie beauftragt, den Eindruck zu erwecken, Andi würde Ray Galt benutzen, um Sam Vetter und Larry Fishbein zu töten … Wieso die beiden?«
    »Es ging nicht speziell um diese zwei. Als Opfer kamen alle Tagungsteilnehmer im Battery Park Hotel und sämtliche Angestellte von Fishbeins Firma in Betracht. Alle dort könnten von dem einen oder anderen Schwindel wissen, den Andi Jessen vermeintlich vertuschen wollte.«

    »Obwohl in Wahrheit niemand dort so etwas weiß.«
    »Richtig. Deren Tätigkeit hat weder mit der Algonquin noch mit Andi zu tun.«
    »Wer steckt dahinter?« Rhyme runzelte die Stirn. Sein Blick huschte über die Tabellen, als müsse er vor seinem Tod noch unbedingt die Auflösung des Rätsels erfahren. »Ich werde einfach nicht schlau daraus.«
    Logan sah dem Mann in das ausgezehrte Gesicht.
    Mitgefühl …
    Er nahm ein zweites Kabel und befestigte es ebenfalls an Rhyme. Das andere Ende würde er an einem Heizkörper des Raumes anbringen und dadurch erden.
    Richard Logan bestand stets darauf, das Motiv zu erfahren, aus dem seine Auftraggeber den Tod der Opfer wollten. Das hatte keine moralischen Gründe, sondern half ihm bei der Planung der Tat und seiner anschließenden Flucht. Auch diesmal hatte er aufmerksam zugehört, als man ihm erklärte, wieso Andi Jessen für lange, lange Zeit ins Gefängnis gebracht werden sollte. »Andi stellt eine Gefahr für die neue Ordnung dar«, sagte er nun. »Sie ist der Ansicht – und sagt das auch laut und deutlich – , dass Öl, Gas, Kohle und Kernkraft noch mindestens hundert Jahre lang die einzigen bedeutenden Energiequellen sein werden. Erneuerbare Energien sind für sie bloß Kinkerlitzchen.«
    »Sie nennt des Kaisers neue Kleider

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