Opferlämmer
in letzter Zeit keine solche Eruption gegeben, und in Anbetracht der gefundenen Partikelmenge würde ich auf unsere nordwestliche Pazifikregion als Ursprungsort tippen. Vielleicht auch Hawaii.«
»Das heißt, es muss durch den Täter oder eine andere Person irgendwie an den Tatort gelangt sein.«
»Das würde ich vermuten.«
»Tja, dann vielen Dank. Wir melden uns bald wieder.«
»Ach, und Judy hat gesagt, sie wird Amelia eine E-Mail mit dem Rezept schicken, das sie haben wollte.«
Rhyme wusste nicht, wovon genau die Rede war. Dieser Teil des Gesprächs musste bei einem der Strandspaziergänge stattgefunden haben.
»Es eilt nicht«, rief Sachs.
Rhyme trennte die Verbindung, sah Sachs an und zog eine Augenbraue hoch. »Du fängst mit Kochen an?«
»Pammy will es mir beibringen.« Sie zuckte die Achseln. »Wie schwierig kann das schon sein? Ich schätze, es ist so ähnlich, als würde man einen Vergaser nachbauen, nur eben aus verderblichen Einzelteilen.«
Rhyme musterte die Tafel. »Tephra … Unser Täter könnte demnach kürzlich in Seattle oder Portland gewesen sein oder auf Hawaii. Ich bezweifle allerdings, dass er nach einer solchen Reise noch so viele Partikel an sich gehabt hätte. Nein, ich möchte wetten, er war in einem Museum, einer Schule oder zumindest in der Nähe irgendeines geologischen Ausstellungsstücks. Wird Vulkanasche womöglich industriell genutzt? Vielleicht zum Polieren von Steinen wie Karborund?«
»Die Partikel sind zu verschiedenartig und ungleichmäßig, um aus einer Mühle stammen zu können«, sagte Cooper. »Und als Poliermittel außerdem zu weich, glaube ich.«
»Hm. Was ist mit Schmuck? Werden aus Lava Schmuckstücke gefertigt?«
Keiner von ihnen hatte je davon gehört. Rhyme hielt es daher für wahrscheinlicher, dass der Täter eine Ausstellung besucht hatte oder dass die Spurenquelle sich unweit seiner Wohnung oder eines zukünftigen Anschlagziels befand. »Mel, jemand in Queens soll sich ans Telefon hängen und herausfinden, ob es in der Stadt irgendwelche festen oder vorübergehenden Ausstellungen oder Exponate gibt, die etwas mit Vulkanen oder Lava zu tun haben. Angefangen mit Manhattan.« Sein Blick fiel auf die in Folie gewickelte Zugangsluke. »So, und jetzt schauen wir uns an, womit Amelia baden gegangen ist. Grünschnabel, Sie führen die Untersuchung durch. Machen Sie uns stolz.«
… Fünfzehn
Der junge Beamte reinigte seine Latexhandschuhe mit dem Kleberoller, was ihm einen beifälligen Blick von Rhyme einbrachte, und hob die Luke samt des noch immer daran befindlichen Rahmens hoch. Sie maß ungefähr fünfzig mal fünfzig Zentimeter, und durch den Rahmen kamen noch etwa fünf Zentimeter hinzu. Der Anstrich war dunkelgrau.
Sachs hatte recht. Das Ding war ziemlich eng. Der Täter musste bei seinem Einbruch in das Umspannwerk an den Kanten entlanggeschrammt sein.
Zum Öffnen der Luke musste man auf beiden Seiten vier kleine Drehriegel lösen, was sich mit Handschuhen nur schwer bewerkstelligen ließ. Es bestand also durchaus die Möglichkeit, dass der Täter mit bloßen Fingern gearbeitet hatte, vor allem, wenn man berücksichtigte, dass er die Luke ohnehin mit der Batteriebombe sprengen wollte, um die Spuren zu beseitigen.
Fingerabdrücke fielen in eine von drei Kategorien: sichtbar (wie zum Beispiel von einem blutigen Daumen an einer weißen Wand), plastisch (wie in nachgiebigem Material, etwa Plastiksprengstoff) und latent (mit bloßem Auge nicht zu erkennen). Um latente Abdrücke sichtbar zu machen, gab es Dutzende guter Methoden, aber bei metallenen Oberflächen benutzte man am besten einfach handelsüblichen Sekundenkleber, Cyanacrylat. Das Objekt wurde in einem luftdichten Behälter platziert. Dann erhitzte man in diesem Behälter eine kleine Menge Klebstoff, bis sie verdampfte. Die Dämpfe setzten sich an allem ab,
was der Finger hinterlassen hatte – an Amino- und Milchsäuren, Glukose, Kalium und Kohlentrioxid –, und die daraus resultierende Reaktion ergab einen deutlichen Abdruck.
Dieses Verfahren konnte wahre Wunder bewirken und Spuren zum Vorschein bringen, die bis dahin vollkommen unsichtbar gewesen waren.
Nur leider diesmal nicht.
»Da ist nichts«, stellte Pulaski entmutigt fest, während er die Luke durch ein sehr an Sherlock Holmes gemahnendes Vergrößerungsglas betrachtete. »Bloß Schmierspuren von Handschuhen. «
»Das überrascht mich nicht. Unser Täter ist bis jetzt ziemlich umsichtig vorgegangen. Gut, dann sichern Sie als
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