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Opferlämmer

Opferlämmer

Titel: Opferlämmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
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ein wenig überrascht wirkte, als hätte er gedacht, der FBI-Mann würde nicht auftauchen. Dann standen sie da. Das hier war keine verdeckte Operation, und es ging auch nicht um eine Rekrutierung. Es war ein Treffen zweier Männer, die etwas Geschäftliches zu regeln hatten.
    Hinter ihnen spielte ein ungewaschener Teenager, der zudem aus einem frischen Lippenpiercing blutete, ein paar Akkorde auf einer Gitarre und jammerte irgendein Lied. Dellray bedeutete Brent, sie sollten ein Stück weitergehen. Der Gestank und das Gejaule blieben hinter ihnen zurück.
    »Haben Sie schon mehr herausgefunden?«, fragte Dellray.

    »Ja, habe ich.«
    »Was?« Wobei er abermals versuchte, nicht zu verzweifelt zu klingen.
    »Das ist noch nicht spruchreif. Eher ein Hinweis auf eine Spur. Ich garantiere Ihnen bis morgen etwas Handfesteres.«
    Eine Garantie? Dieses Wort bekam man im Spitzelgeschäft nicht oft zu hören.
    Doch William Brent war der Armani aller Informanten.
    Außerdem hatte Dellray sowieso keine andere Wahl.
    »Sagen Sie, sind Sie mit der Zeitung fertig?«, fragte Brent ganz beiläufig.
    »Klar. Behalten Sie sie.« Dellray reichte ihm das gefaltete Exemplar der New York Post .
    Sie hatten das natürlich schon hundertmal gemacht. Brent steckte die Zeitung in seinen Aktenkoffer, ohne auch nur nach dem darin befindlichen Umschlag zu tasten, geschweige denn ihn zu öffnen und die Scheine zu zählen.
    Dellray sah das Geld in dem Koffer verschwinden, als würde ein Sarg in ein Grab hinabgelassen.
    Brent fragte nicht, woher es stammte. Warum sollte er auch? Es spielte für ihn keine Rolle.
    Dann fasste der Spitzel kurz zusammen. »Weißer Durchschnittstyp. Angestellter oder Verbindung nach drinnen. Gerechtigkeit für irgendwas. Rahman. Eventuell Terrorismus, eventuell auch was anderes. Und er kennt sich mit Strom aus. Und mit sorgfältiger Planung.«
    »Das ist alles, was wir bislang haben.«
    »Ich glaube, mehr brauche ich auch nicht«, sagte Brent ohne die geringste Überheblichkeit. Dellray wertete das als ein gutes Zeichen. Normalerweise kam er sich in solchen Momenten wie beraubt vor, auch wenn es nur um eine typische Spitzelvergütung von vielleicht 500 Dollar ging. Hier jedoch hatte er das Gefühl, dass Brent ihn nicht enttäuschen würde.

    »Wir treffen uns morgen im Carmella’s«, sagte Dellray. »Im Village. Kennen Sie den Laden?«
    »Ja. Wann?«
    »Zwölf.«
    Brent legte sein zerknittertes Gesicht noch mehr in Falten. »Fünf.«
    »Drei?«
    »Okay.«
    Dellray hätte beinahe ein flehentliches »Bitte« geflüstert, was nach seiner Erinnerung noch kein Informant je von ihm vernommen hatte. Er konnte sich gerade noch zurückhalten, aber es fiel ihm schwer, nicht ständig den Aktenkoffer anzustarren, dessen Inhalt womöglich das Ende seiner Karriere bedeutete. Und genau genommen seines ganzen Lebens. Vor seinem inneren Auge stieg das fröhliche Gesicht seines Sohnes auf. Er schob es mit Mühe beiseite.
    »Es ist mir eine Freude, mit Ihnen Geschäfte zu machen, Fred.« Brent lächelte und nickte ihm zum Abschied zu. In seiner übergroßen Brille spiegelte sich eine Straßenlaterne. Dann war er weg.

… Vierundzwanzig
    »Das ist Sachs.«
    Draußen vor dem Fenster war das tiefe Blubbern eines Motors zu vernehmen, das jäh erstarb.
    Rhyme sprach soeben mit Tucker McDaniel und Lon Sellitto, die beide – unabhängig voneinander – vor Kurzem eingetroffen waren, gleich nachdem der Todesdoktor so plötzlich hatte aufbrechen müssen.
    Sachs würde die NYPD-Parkerlaubnis auf das Armaturenbrett legen, aussteigen und herkommen. Und ja, gleich darauf öffnete sich die Haustür, und ihre eiligen und dank der langen Beine recht großen Schritte waren zu hören.
    Sie nickte den Anwesenden zu und sah Rhyme prüfend an. Er kannte diesen Gesichtsausdruck: Zuneigung, verbunden mit dem klinischen Blick, der typisch für jeden Partner eines Schwerbehinderten war. Sie hatte sich eingehender über Querschnittslähmung informiert als er selbst und konnte alle – auch die intimsten – Aufgaben wahrnehmen, die zu Rhymes privater Alltagsroutine gehörten. Anfangs war Rhyme das peinlich gewesen, aber dann hatte sie scherzend und vielleicht auch ein wenig kokett angemerkt: »Das ist doch wie bei jedem anderen alten Ehepaar, Rhyme«, und ihn damit zum Verstummen gebracht. »Gutes Argument«, hatte sein einziger Kommentar gelautet.
    Was nicht bedeutete, dass ihre Fürsorglichkeit, genau wie die eines jeden anderen, ihn nicht bisweilen genervt

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