Opferlämmer
hätte. Er warf
ihr nur einen kurzen Blick zu und widmete sich dann wieder den Tabellen.
Sachs sah sich um. »Wo ist denn der Preis, den man dir verliehen hat?«
»Es gab da eine kleine Fehlinformation.«
»Was heißt das?«
Er erzählte ihr von Dr. Kopeskis Angebot.
»Nein!«
Rhyme nickte. »Kein Briefbeschwerer.«
»Hast du ihn rausgeworfen?«
»Das war Thom. Und er hat dabei eine verdammt gute Figur abgegeben. Aber ich will jetzt nicht darüber reden.« Er musterte ihre Umhängetasche. »Also, was bringst du uns Neues?«
Sie zog mehrere dicke Akten aus der Tasche. »Ich habe die Liste der Leute, die Zugang zu den Computercodes der Algonquin hatten. Außerdem ihre Lebensläufe und Personalunterlagen. «
»Was ist mit verärgerten Mitarbeitern? Gab es psychische Probleme? «
»Jedenfalls keine, die für uns relevant wären.«
Sie berichtete von ihrem Treffen mit Andi Jessen: An den Dampfrohren unweit des Umspannwerks an der Siebenundfünfzigsten Straße seien schon länger keine Arbeiten mehr durchgeführt worden. Es habe zudem keine offenen Terrordrohungen gegeben, aber die Möglichkeit werde gegenwärtig noch einmal geprüft. »Dann habe ich mit jemandem aus der Abteilung für Sonderprojekte gesprochen – die sich im Grunde um alternative Energien drehen. Charlie Sommers. Guter Mann. Er hat mir erklärt, welche Voraussetzungen man mitbringen muss, um einen Anschlag wie den heutigen verüben zu können. Unser Täter könnte ein Elektrikermeister oder Militärelektriker sein. Oder er hat bei einer Stromfirma als Techniker oder Störungssucher gearbeitet.«
»Das wäre doch auch eine gute Tätigkeitsbeschreibung für dich, Linc«, warf Sellitto ein.
»Ein Störungssucher ist ein technischer Spezialist für Problemfälle«, erklärte Sachs. »Man benötigt praktische Berufserfahrung, um so einen Lichtbogen auszulösen. Es lässt sich nicht einfach im Internet nachlesen.«
Rhyme nickte in Richtung der Tafel, und Sachs trug die Punkte ein.
»Auch für die Computermanipulation waren entweder ein entsprechender Kurs oder beträchtliche Praxiskenntnisse erforderlich«, fügte sie hinzu und erwähnte die SCADA- und EMP-Software, die der Täter beherrschen musste.
Dann schrieb sie auch diese Einzelheiten auf die Tafel.
»Wie viele Leute stehen auf der Liste?«, fragte Sellitto.
»Mehr als vierzig.«
»Autsch«, murmelte McDaniel.
Rhyme vermutete, dass einer der Namen womöglich dem Täter gehörte. Vielleicht konnten Sachs und Sellitto die Liste ja noch weiter eingrenzen. Doch im Augenblick wollte er vor allem konkrete Spuren verfolgen. Leider gab es kaum welche, zumindest keine ergiebigen.
Der Anschlag lag nun fast zwölf Stunden zurück, und sie waren dem Mann aus dem Café oder irgendeinem anderen Verdächtigen noch keinen Schritt näher gekommen.
Der Mangel an Anhaltspunkten mochte frustrierend sein, aber wesentlich beunruhigender war ein nüchterner Eintrag im Täterprofil: Vermutlich dieselbe Person, die 23 Meter des verwendeten Typs Bennington-Kabel und 12 Drahtverbindungsschrauben gestohlen hat. Weitere Anschläge geplant?
Arbeitete der Täter in diesem Moment schon an der nächsten Falle? Bei dem Anschlag auf den Bus hatte es keine Vorwarnung gegeben. Vielleicht war das seine typische Vorgehensweise. Die Fernsehnachrichten konnten jeden Moment vermelden, dass ein
zweiter Lichtbogen irgendwo Dutzende von Menschen getötet hatte.
Mel Cooper fotokopierte die Liste, und sie teilten die Namen unter sich auf. Sachs, Pulaski und Sellitto würden eine Hälfte übernehmen, McDaniel und seine Bundesagenten die andere. Außerdem gab Sachs dem ASAC die Personalunterlagen mit, die zu den Namen auf seinem Teil der Liste gehörten.
»Dieser Sommers, vertraust du ihm?«, fragte Rhyme.
»Ja. Ich habe ihn überprüft. Und er hat mir das hier gegeben. « Sie zückte ein kleines, schwarzes elektronisches Gerät und richtete es auf ein Kabel neben Rhyme. Dann drückte sie eine Taste und las das Display ab. »Hm. Zweihundertvierzig Volt.«
»Und ich, Sachs? Stehe ich voll unter Strom?«
Sie lachte und zielte zum Spaß auf ihn. Dann zog sie eine Augenbraue hoch, was – so hoffte Rhyme – verführerisch gemeint war. Ihr Telefon klingelte. Sie führte ein kurzes Gespräch und trennte dann die Verbindung. »Das war Bob Cavanaugh, der stellvertretende Geschäftsführer. Er war derjenige, der sich bei den Zweigstellen noch einmal nach etwaigen Terrordrohungen erkundigen wollte. Wie es aussieht, sind die
Weitere Kostenlose Bücher