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Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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wusste.
    Dann wurde ihre Aufmerksamkeit von einem geschäftigen Treiben rund um das Gehöft jenseits des Feldes abgelenkt. Auf dem Hof war ein Minibus angekommen, aus dem eine Horde Polizisten stieg. Auch ein paar Hunde waren dabei, sie hörte, wie Befehle gerufen wurden. Die Polizisten warteten, dann fuhr ein Auto heran, und zwei Gestalten, geschlechtslos in ihren weißen Spurenschutzanzügen und mit den weißen Hauben, sprangen heraus. Einer musste einen Schlüssel für das Haus haben, denn die beiden gingen hinein. Die anderen standen beim Bus herum und schauten sich den Krempel auf dem Hof an, die Schrotthaufen aus verrostenden Landmaschinen, als wüssten sie nicht, wo sie anfangen sollten. Im nächsten Moment würde womöglich noch Vera Stanhope auftauchen, dachte Emma, und sie wollte von ihr nicht an Abigails Grab erwischt werden. Die Kommissarin könnte glauben, dass ihre Bemerkungen vom Vorabend Emma veranlasst hatten herzukommen. Diese Genugtuung wollte Emma ihr nicht verschaffen.
    Als sie sich umdrehte, um zu gehen, sah Emma Dan Greenwood, der am Geländer lehnte. Er musste sie beobachtethaben. Lächelnd hob er eine Hand zum Gruß. Sie spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht schoss und sich ein flaues Gefühl der Erregung in ihrer Magengrube ausbreitete. Immer noch fühlte sie den Kitzel einer Verbindung zwischen ihnen. Das machte es so anders als mit James, dachte sie. Mit James fühlte sie sich nie richtig verbunden. Er war nur eine Figur in einer ihrer Geschichten.
    «Was glauben Sie, was tun die da?» Sie zeigte mit dem Kinn zu den Gestalten in Dunkelblau hinüber, die begonnen hatten, sich in Gruppen aufzuteilen. Nacheinander krochen die Polizisten durch ein Loch in der Hecke auf das dem Fluss am nächsten gelegene Feld.
    «Sie wollen herausfinden, wo Christopher den Tag verbracht hat, an dem er umgebracht wurde. Der Friedhof ist der letzte Ort, an dem er gesehen wurde, und der Hof da steht leer. Da könnte er gewesen sein. Sie untersuchen, ob er irgendwelche Spuren hinterlassen hat.» Er klang nicht so, als ob er nur Vermutungen anstellte. Sie nahm an, dass er noch immer Freunde in der Dienststelle hatte, die ihn auf dem Laufenden hielten.
    Sie ging durch das Tor, um sich zu ihm zu stellen. Er roch nach dem Tabak, aus dem er seine Zigaretten drehte. Sie trat ein Stück beiseite, bis der Duft sich im Geruch des Laubes verlor. Am sichersten war es, ihm nicht zu nahe zu kommen.
    «Heute haben Sie Ihren Kleinen ja gar nicht dabei», sagte er.
    «Nein.»
    «Sie brauchen sicher auch mal etwas Zeit für sich.»
    «Ja», sagte sie. «Das stimmt.»
    «Ich würde Sie gern zurück ins Dorf begleiten. Die Vorstellung, dass Sie allein hier draußen rumlaufen, gefällt mir nicht.»
    Wieder dachte sie, dass James sich darüber keine Gedanken gemacht hatte. «Ich glaube nicht, dass hier viele Gefahren lauern. Wo doch überall Polizei herumläuft.»
    Er gab keine Antwort, wechselte jedoch die Seite, sodass er an der Fahrbahn ging, und passte sich ihrem Tempo an. Trotz des Nieselregens trug er keinen Mantel, nur einen Pullover aus kratziger, dunkelblauer Wolle, und der Geruch nach feuchter Wolle legte sich über den Tabakduft. Sie kam sich unbeholfen und plump vor.
    «Wieso haben Sie sich aufs Töpfern verlegt, nachdem Sie den Polizeidienst quittiert haben?», fragte sie, nur um überhaupt etwas zu sagen.
    Einen Moment lang schwieg er. «Es hat ein Weilchen gebraucht, bis ich mich für etwas entscheiden konnte. Ich hatte eine Art Zusammenbruch. Der Stress. Ich wusste, dass ich was Kreatives machen wollte. Als ich aus dem Dienst ausgeschieden war, ging ich zuerst ein paar Jahre auf eine Kunstschule, aber das meiste dort habe ich nicht kapiert. Konzeptkunst. Worum geht’s da überhaupt? Anderes hat mir gefallen. Das Handwerkliche. Das Töpfern, etwas Greifbares für die Menschen herzustellen, etwas Nützliches.» Er hielt inne. «Das ergibt nicht viel Sinn, oder?»
    «O doch.»
    «Von der Polizei bekam ich eine kleine Pension. Genug für den Anfang. Dann starb meine Mutter und hinterließ mir das Geld, das ich brauchte, um die Schmiede zu kaufen.»
    «Haben Sie deshalb bei der Polizei aufgehört? Weil der Stress Sie zu sehr mitgenommen hat?»
    «Ich nehme es an.» Er lächelte, um es ins Komische zu ziehen. «Ich bin zarter besaitet, als mir guttut, fürchte ich. Ich konnte nicht vergessen, dass die Opfer wirkliche Menschen waren.»
    Schweigend gingen sie weiter, bis sie das Dorf erreichten. An der Tür zur Schmiede

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