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Opferschuld

Opferschuld

Titel: Opferschuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Cleeves
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Mitarbeiter in Aberdeen», sagte Robert. Er schwieg kurz. «Er war ein außergewöhnlich begabter Wissenschaftler. Zoologe.» Abbittend sah er zu Vera hinüber, als würde ihm bewusst, dass dies nicht der Moment für elterlichen Stolz war.
    «Gab es einen bestimmten Grund für seinen Besuch? War er geplant?»
    «Nein», sagte Emma. «Aber nur wenig von dem, was er tat, war tatsächlich geplant. Außer bei seiner Arbeit. Die hat ihn immer vollständig ausgefüllt.»
    «Hatte er Mr und Mrs   Winter seinen Besuch angekündigt?»
    «Nein», sagte Robert. «Wir wussten nichts davon. Wir wussten nicht einmal, dass er in Elvet war, bis Emma mich gegen Mittag bei der Arbeit anrief.»
    «Sie sind Bewährungshelfer, Mr   Winter?»
    «So ist es.»
    «Sie haben Jeanie Long betreut?»
    «Ich habe den Bericht über die häuslichen Umstände geschrieben, für den Bewährungsausschuss. Das war alles.»
    Dazu sagte Vera nichts. Einen Augenblick lang herrschte Stille, die Emma füllte. «Ich habe Mum und Dad hier angerufen, als ich gemerkt hatte, dass Chris weg war, aber da waren sie beide schon unterwegs. Vor der Mittagszeit wollte ich sie damit nicht belästigen. Wissen Sie, ich habe ihn heute Morgen gar nicht mehr gesehen. Als ich aufstand, war er schon weg.»
    «Ein Frühaufsteher also?»
    «Für gewöhnlich nicht, nein. Das hat mich überrascht, und ich war wohl auch ein bisschen besorgt.»
    «Besorgt? Wieso denn? Es kommt mir ungewöhnlich vor, sich Sorgen um einen erwachsenen Mann zu machen.» Sie schwieg kurz. «Welchen Eindruck hat er gestern Abend auf Sie gemacht?»
    Emma und James sahen einander an. Vera argwöhnte eine unausgesprochene Bitte von Emma, die James ignorierte.
    «Er hat sich komisch benommen», sagte James. «Er war betrunken, aber da steckte noch mehr dahinter. Wenn es um seine Arbeit ging, wirkte er ja immer schon hitzig, ganz schön selbstbezogen, aber gestern Abend schien ihn irgendein persönliches Problem zu beunruhigen. Ich habe mich gefragt, ob er vielleicht eine Art Zusammenbruch hat. Es klingt herzlos, aber ich war einfach zu müde, um mich darum zu kümmern, und ich hatte ja noch Bereitschaftsdienst. Schließlich habe ich ihn Em überlassen. Ich weiß nicht, ob sie irgendwas Sinnvolles aus ihm herausgekriegt hat.»
    «Hast du denn etwas herausbekommen, Emma?», fragte Robert. Die ganze Zeit über hatte er vollkommen ruhig dagesessen und war dem Gespräch gefolgt. Vera wurde nicht schlau aus ihm. Sein Sohn war umgebracht worden, aber sie hatte nicht den Eindruck, dass er trauerte. Er war so schrecklich beherrscht. Vielleicht hatte das ja etwas mit seinem Glauben zu tun. Dan Greenwood hatte ihr erzählt, dass Winter der reformierten Kirche angehörte. Sie hatte immer gedacht, das wäre ein fideles Völkchen, wo alle mit den Händen in der Luft herumwedelten, doch bei dem Gottesdienst, den sie besucht hatte, war davon nichts zu sehen gewesen. Glaubte er, dass es falsch war, um einen Sohn zu trauern, der nun vor seinem Schöpfer stand? Saß er deshalb so da, unbeugsam und erstarrt, während nur seine Augen sich bewegten?
    «Wir haben uns unterhalten», sagte Emma schließlich. «Er war betrunken, wie James schon gesagt hat. Er hat nicht viel Sinnvolles von sich gegeben.»
    Vera nickte mitfühlend, doch plötzlich durchzuckte sie die Erregung, deretwegen sie ihren Beruf gewählt hatte, die Erregung, um die es in Wirklichkeit ging. Du lügst, Herzchen. Du weißt mehr, als du sagst. Aber warum? Was hat dein Bruder dir erzählt? Vielleicht hatte er ja etwas zu verbergen. Versuchst du, deine Mum und deinen Dad zu schützen? Oder ist hier etwas noch Unheilvolleres im Gang?
    «Wie alt war Christopher, als Abigail Mantel ums Leben kam?», fragte sie.
    «Vierzehn», sagte Emma. «Er war ein Jahr jünger als ich.»
    «Kannte er sie?»
    «Er hat sie mit mir zusammen gesehen. Und in der Schule.»
    «Kommen wir noch einmal zu jenem Sonntag zurück,dem Tag, an dem Sie ihre Leiche gefunden haben. War Christopher an jenem Tag zu Hause?»
    «Er ist mit uns zur Kirche gegangen», sagte Robert. «Dann haben wir alle zusammen gegessen. Als Emma ging, war er noch hier. Das war kein Wetter, um sich draußen herumzutreiben.»
    «Das damalige Ermittlerteam hat doch sicher mit ihm gesprochen?»
    «Das weiß ich nicht mehr.» Robert zog die Stirn kraus. «Sie waren an jenem Nachmittag natürlich hier und haben mit Emma gesprochen. Ich nehme an, dass sie Christopher auch befragt haben, aber ich weiß es nicht mehr.»
    «Auf

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