Opferspiel: Thriller (German Edition)
Bengel für ein großes Maul gehabt hatte. Okay, er hatte ihm einen kleinen Schlag zu viel verpasst, na und? Manche würden sagen, dass er der Gesellschaft damit einen Gefallen getan hatte. Ein Häftling kostete hunderttausend Euro im Jahr. Er hatte den Steuerzahlern möglicherweise ein Vermögen erspart.
Hinter ihm klapperte der Schlüssel im Schloss, und er fuhr erschrocken herum. Wahrscheinlich nur so ein Arsch von einem Witzbold, der ihm ein Mittagessen bringen wollte. Er wusste genau, was für Körperflüssigkeiten unter das Zeug auf dem Tablett gemischt waren.
Doch als er das Gesicht in der Tür sah, grinste er. »Scheiße sei Dank, Mann«, sagte er. »Hol mich hier raus.«
40
Gegen fünf Uhr nachmittags legte Jo eine Pause beim Studieren der Fallakten ein und schob ein Brathähnchen in den Ofen. Das Kochen ging ihr heute noch schwerer von der Hand als sonst, weil sie mit dem Kopf ganz woanders war. Sie wusste, dass sie höllischen Ärger bekommen würde, weil sie sich einfach so vom Revier verdrückt hatte, aber sie konnte keine Unterbrechungen durch Friar und deren Team mehr ertragen und auch nicht die ständige Infragestellung ihrer Autorität. Die Zeit war viel zu kostbar. Foxy, Sexton und Merrigan würden zu einer spätabendli chen Besprechung vorbeikommen, nachdem ihre Jungs abgefüttert und ins Bett gepackt worden waren. Bis dahin brauchte sie unbedingt ein wenig Ruhe und Frieden, um den Papierberg auf ihrem Schreibtisch durchzugehen und sich die Hintergrundinformationen über die Opfer und alles halbwegs Relevante, das die Befragungen von Haus zu Haus ergeben hatten, genauer anzusehen. Es musste etwas dabei sein, das ihr helfen würde, den Fall zu knacken, sagte sie sich, als sie an den Herdschaltern herumhantierte.
»Der Drogenabhängige, Stuart Ball, wurde in der New Wapping Street getötet«, dachte sie laut. Sie nahm klappernd eine Handvoll Besteck aus der Schublade, zog ein Messer heraus und legte es stellvertretend für die Straße auf die Sitzbank. »Rita Nulty wurde in der Castleforbes Road umgebracht, die parallel zur New Wapping Street verläuft.« Sie sah den Rohbau vor sich, in dem sie Rita gefunden hatte, und legte ein zweites Messer daneben.
»Erstes Anzeichen von Wahnsinn, wenn man mit sich selbst spricht«, bemerkte Rory hinter ihr.
Jo drehte sich kurz um und verbarg ein Grinsen. Er hatte seine Schulbücher über den ganzen Küchentisch ausgebreitet und einen Tintenfleck am Mundwinkel, weil er ständig auf seinem Kugelschreiber herumkaute. Harry saß neben ihm auf dem Boden und zerkrümelte einen angelutschten Zwieback.
Sie schnappte sich eine Rolle Küchenpapier und wischte die Zwiebackpampe auf, bevor Harry noch mehr davon in den Mund stecken konnte. »Mach dich nützlich und deck entweder den Tisch oder zieh in dein Zimmer um, damit ich es tun kann«, sagte sie zu Rory.
Er schob scharrend seinen Stuhl zurück und schnüffelte beim Hinausgehen geräuschvoll an ihrem Ohr, worauf Jo sich den Kartoffelschäler in den Daumen stieß. Aufjaulend saugte sie daran.
»Der Drogenboss Anto Crawley wurde am Spencer Dock getötet, das ebenfalls parallel zur New Wapping Street und der Castleforbes Road liegt.« Jo stellte sich das verlassene Lagerhaus vor und holte noch ein Messer aus der Schublade. Die drei Straßen waren am einen Ende durch den North Wall Quay miteinander verbunden und am anderen durch die Upper Sheriff Street, in der man Pater Walsh gefunden hatte. Sie schloss die Enden mit zwei Gabeln ab. »Das muss etwas zu bedeuten haben«, sagte sie leise.
Rorys Schulbücher lagen immer noch auf dem Küchentisch, weshalb sie durch den Flur brüllte, dass er sofort kommen und sie wegräumen solle. Sie war drauf und dran, ihm eine Standpauke zu halten, doch als das schnurlose Haustelefon klingelte und sie es zwischen Ohr und Schulter klemmte, während sie mit den Händen die Bücher selbst zusammenraffte, bekam stattdessen ein Reporter, der sich nach den neuesten Entwicklungen erkundigte, den Anschiss.
Als sie sah, wie Harry versuchte, an einem Stuhlbein hinaufzuklettern, warf sie das Telefon zur Seite, um ihn zu retten, und erschreckte ihn dadurch so sehr, dass er die Flucht ergriff und seine ersten wackeligen Schritte machte, ehe er stehen blieb und unsicher schwankte. Sie erstarrte und merkte, wie ihr die Tränen kamen. Dann ging sie vor ihrem Baby, das ein kleiner Mann geworden war, in die Hocke und streckte die Arme aus. »Komm her, mein Süßer«, flüsterte sie. »So ist’s
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